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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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correct schreiben? Sie sind einsam aufgewachsen: werden sie die Welt und die Gesellschaft kennen? Erfüllt von dem einzigen Gefühle, welches sie in Anspruch nimmt, schwärmen sie und meinen zu Philosophiren. Fordern Sie von ihnen Beobachtung, Unheil, Ueberlegung? Lauter Dinge, auf die sie sich nicht verstehen. Sie verstehen sich darauf, lieb zu haben; sie bringen zu Allem ihre Leidenschaft mit. Ist die Wichtigkeit, welche sie allen ihren Kinderpossen beilegen, weniger ergötzlich als aller Geist, den sie etwa auskramen könnten? Sie plaudern über Alles, sie täuschen sich über Alles; man lernt durch sie nichts kennen als sie selbst; aber indem man sie kennen lernt, gewinnt man sie lieb; ihre Irrthümer sind mehr werth als alle Wissenschaft der Weisen; ihre redlichen Herzen halten in Allem, und in ihren Fehlern selbst, die Vorurtheile der Tugend fest, die ewig vertrauensvoll, ewig verrathen wird. Da ist Keines, das sie verstünde, das ihnen entgegenkäme; immer wieder müssen sie sich enttäuscht sehen. Sie verschließen sich vor den entmuthigenden Wahrheiten, und da sie nirgend ihr Gefühl befriedigt finden, ziehen sie sich in sich selbst zurück; sie lösen sich von der übrigen Welt los und indem sie sich unter sich eine kleine Welt verschieden von der unseren schaffen, stellen sie uns ein in der That neues Schauspiel dar.
    N. Ich gebe zu, daß ein Mann von zwanzig Jahren und Mädchen von achtzehn, wenn auch wohl unterrichtet, nicht wie Philosophen sprechen müssen, selbst wenn sie sich einbilden, es zu sein; ich gebe auch zu (und diese Entwicklung der Sache ist mir nicht entgangen), daß diese Mädchen zu achtbaren Frauen und der Jüngling zu einem besserenBeobachter reifen. Ich will nicht den Anfang und das Ende des Werkes einander gleich stellen. Die Hingabe an das häusliche Leben macht die Jugendverirrungen wieder gut; die züchtige Gattin, die verständige Hausfrau, die würdige Mutter machen uns die strafbar Liebende vergessen. Aber eben dies giebt einen Anlaß zur Kritik: das Ende der Sammlung läßt den Anfang nur noch tadelnswerther erscheinen; man möchte sagen, es sind zwei verschiedene Bücher, die nicht von denselben Personen gelesen werden müssen. Sollen vernünftige Menschen gezeigt werden, warum treten sie auf, bevor sie es geworden sind? Die Kindereien, welche den Weisheitslehren vorangehen, machen, daß man gar nicht bis zu diesen gelangt; man muß sich an dem Schlechten ärgern, ehe man dazu kommen kann, sich an dem Guten zu erbauen; kurz, der Leser wird aufgebracht und wirft unwillig das Buch gerade da von sich, wo es nützlich zu werden anfängt.
    R. Ich denke im Gegentheil, daß das Ende dieser Briefsammlung für diejenigen Leser überflüssig ist, welche der Anfang abgestoßen hat, und daß der Anfang gerade Denen angenehm sein muß, für die das Ende von Nutzen sein kann. So werden diejenigen, welche das Buch nicht auslesen, nichts verlieren, da es nicht für sie gemacht ist, und diejenigen, welche Nutzen davon ziehen können, würden es nicht gelesen haben, wenn es ernsthafter angefangen hätte. Wenn das, was man sagen will, nützlich werden soll, so muß man vor allen Dingen sich Eingang bei Denen verschaffen, welche den Nutzen ernten sollen.
    Ich habe mit dem Mittel, nicht mit dem Gegenstande gewechselt. Als ich es versuchte, zu den Erwachsenen zu reden, hat man mich nicht hören wollen; vielleicht, wenn ich mich an die Kinder wende, finde ich mehr Gehör; die Kinder nehmen aber die nackte Wahrheit nicht besser ein als Arzueien, die man nicht gut versteckt hat.
Cosi all' egro fanciul porgiamo aspersi
    Di soave licor gli orli del vaso;
    Succhi amari ingannato in tanto ei beve,
    E dall inganno sua vita riceve.

    [So reichen wir dem kranken Kind Arzueien,
    Des Bechers Rand mit süßem Saft bestrichen;
    Getäuscht den bittern Trank in raschem Zuge
    Schlürft es und dankt sein Leben dem Betruge.
    Tasso's Befreit. Jerus. I, 3]
    N. Ich besorge, daß Sie sich auch hierin täuschen; sie werden die Ränder des Gefäßes ablecken und den Trank nicht nehmen.
    R. Wenn das geschieht, so ist es dann nicht meine Schuld; ich habe wenigstens gethan, was ich konnte, um ihn ihnen beizubringen.
    Meine jungen Leute sind liebenswürdig; aber um sie im dreißigsten Jahre zu lieben, muß man sie im zwanzigsten gekannt haben. Man muß lange mit ihnen gelebt haben, um sich mit ihnen zu gefallen, und erst wenn man ihre Fehler beklagt hat, wird man an ihren Tugenden Freude finden. Ihre Briefe reizen nicht im

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