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Jung genug zu sterben

Jung genug zu sterben

Titel: Jung genug zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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Gruppe bei uns betreuen.«
    »Sie ist undiszipliniert«, sagte Jenissej. »Kann man verstehen: Sie hat einen Vater, der die Disziplin in Reinkultur ist. Muss sich absetzen.«
    »Normalerweise«, sagte Melina, »hat sie sich alle zwei Tage gemeldet. Diesmal nichts. Stattdessen fand ich eine Mail von ihr, die ich nicht öffnen konnte. Eine Datei im
flll
-Format.«
    Er stutzte, dann lachte er schallend. »
F3L?
Ja, das ist eine Entwicklung von mir. Die hat Melina aber nicht, sie interessiert sich nicht für meine Technik.«
    »Offenbar doch.«
    »Jedenfalls kann ein anderer die Datei nicht lesen«, sagte Jenissej.
    »Doch. Eine Freundin von mir hat das Programm konvertiert. Es hat sie ein paar Stunden Arbeit gekostet.«
    »Wirklich, sie konnte es öffnen?
Gute
Freundin. Wusste ich nicht, dass man mein Programm knacken kann. Wie ist die Qualität der Filme?«
    »Es ist nur einer«, sagte Melina. »Matschig.«
    »Ah, siehst du!
F3L
ist extrem komprimiert und dennoch hochauflösend, ideal für schnelle Cuts, Mehrfachbelichtungen, Split Screens.«
    Melina schlug mit der Hand auf den Boden und erschrak selbst. »Vielleicht interessiert Sie der
Inhalt,
mit ihrer Tochter?«
    Sein Gesicht war jetzt die Offenheit aller Offenheiten. Wenn Melina mit einem einzigen Mausklick all ihre intimsten Geheimnisse zu ihm hätte hinüberspielen wollen, wäre dies der Moment dafür gewesen.
    Sie fasste sich. »Es ist ein Zusammenschnitt. Filmaufnahmen, etwa drei Minuten. Ich verstehe es nicht. Ich habe es auf dem Stick mitgebracht.«
    Er nahm den Stick, stand auf und reichte ihr die Hand.
    »Was ist?«, fragte sie.
    »Vielen Dank. Für die Datei. Auf Wiedersehen.«
    »Spinnen Sie?«

5
    Shirin lief vor Axel die Treppe hinauf, und sie wusste genau, wo er hinschaute. Sie nahm jede zweite Stufe. Manchmal stoben Sand und Tannennadeln vom letzten Jahr auf, wenn sie einen ihrer Turnschuhe aufsetzte. Shirin dachte an die Ameisen und das Käferzeugs, das sie damit unwillkürlich aufschreckte. Über die Treppe, die nur aus Waldboden und Baumstämmen bestand, blitzte an vielen Stellen Sonnenlicht. Als ob der Weg gleich weggebeamt wird, dachte sie. Ab und zu schloss sie beim Aufstieg auf die Haveldüne die Augen. Schwummerig war ihr sowieso schon.
    »Was soll da oben sein?«, fragte Axel. »Panorama über Wald und Wasser, Schiri?«
    Sie drehte sich ruckartig um. Es staubte. »Nenn mich nicht so!« Dabei musste sie grinsen.
    Er stoppte und drehte das Gesicht zur Seite, um nicht frontal auf das Mädchen aufzulaufen. »Ist ja gut.«
    »Oben siehst du gar nichts. Außer einer Lichtung und mir.« Ihre schwarze Mähne flaggte in sein Gesicht, als sie sich wieder auf den Weg besann und weiter stieg.
    »Wir hätten auch unten am Steg sitzen bleiben können«, nölte Axel.
    Warum sind alle Schmackos so dusselig?, fragte sie sich. Ich hoffe, oben sind keine Leute.
    Oben war ein Mann mit Sonnenhut. Er feuerte seinen Hund an, einen Ast von der Größe eines Kanus aus dem Waldboden zu zerren. Abrupt ließ der Hund von der Beute ab und kratzte sich die Nase. Mann und Hund verschwanden,Shirin und Axel waren allein auf der Lichtung über der Havel.
    »Also, was war das für ein Drama mit deinem Vater?«, fragte Axel.
    Nicht darauf eingehen, sagte sie sich. Mach es, wie du es dir vorgenommen hast.
    Doch das Bild ihres Vaters schob sich in ihre Erinnerung. Eigentlich hatte sie die Szenen des Streits wie eine Datei auf dem Bildschirm in einen virtuellen Papierkorb ziehen wollen. Aber so etwas gab es im Gehirn wohl nicht. Die Wut rollte wieder an, von unten her, aus dem Bauch in die Brust. »Wenn meine Obertanen mal zu Hause sind, psychen sie mich ohne Ende«, sagte sie und ließ sich ins Gras fallen.
    Eigentlich wolltest du vor ihm stehen bleiben.
    »Ach, sind die
beide
so drauf?«
    »Klar, arbeiten sogar für dieselbe Firma.
NanoNeutro,
wenn dir das was sagt. Global vernetzter Konzern.«
    Axel setzte sich neben sie und schüttelte den Kopf.
    Shirin sagte: »Sie bilden sich was auf ihre Jobs ein. Vierundzwanzigsieben geht es um nichts anderes. Und sie denken keine Millisekunde nach. Ich sag zu meinem Erzeuger: Alter, weißt du eigentlich, was da in diesem Saudi-Arabien abgeht, wo du deine Geschäfte machst? Weißt du, was da mit den Frauen passiert? – Ich soll gefälligst anständig mit ihm reden. – Hast du eine Ahnung, wie es den Tausenden Flüchtlingen aus dem Irak in Saudi-Arabien geht, frage ich ihn. Er hat ein deutsches Werk gleich in der Nähe eines

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