Jung genug zu sterben
Gefängnisses. – Ich soll mir keine halbgaren Gedanken machen. Schließlich würde ich von dem Schotter, den er nach Hause bringt, gut leben. Und sie würden für
Amnesty
spenden.«
»Echt?«
»Klar. Erst Weihnachtsfeier hier in Deutschland mitgekauften Frauen. Meine Mutter war dabei und hat die Klappe gehalten. Dann haben sie aus der Portokasse einen Scheck für
Amnesty
bezahlt und groß in die Kameras gehalten. Als ich ihnen das vorgehalten habe, sind sie beide ausgetickt: Handysperre, Internetverbot, Telefon rausgezogen. Weißte, weil ich sage, wie es ist!«
Er zupfte Grashalme. »Wahrscheinlich machen sie ’ne Phase durch.«
Sie lachte höhnisch. »Die dauert aber mindestens seit meiner Geburt! – Ehrlichkeit! Ich soll immer alles sagen. Und wenn ich’s mache – zack: drakonische Hinrichtung! – Nee, meinen sie, ich hätte keinen Respekt und würde die Zusammenhänge nicht kapieren. – Natürlich verstehe ich die Zusammenhänge. Die Saudis müssen sich nicht um Menschenrechte scheren, weil das Ausland die Augen verschließt und sie gewähren lässt. Es geht den Firmen um Profit, da kommt es auf Folter und Todesstrafe nicht an. Was soll ich daran nicht verstehen? – Ich sage, ich bin überhaupt nicht froh, dass ich gut lebe, weil ich weiß, wie viele Kinder am Tag sterben. Obwohl sie leben könnten, wenn wir nicht so egoistisch wären.«
»Und was sagen sie?«
»Dass ich altklug daherschwatze. – Darauf ich: Manchmal hab ich den Eindruck, nicht ich bin in der Pubertät, sondern ihr!«
Axel sah sie an. »Und?«
»Meine Mam hat völlig abgeflasht, mein Erzeuger gebrüllt und gepoltert – kriegste Ohrenkrebs von. Sei froh, dass du so was nicht hast.«
Mist. Das war daneben. »Sorry. Aber echt, das klingt immer schön: Vater und Mutter haben. In Wirklichkeit hast du nur Krieg mit so ’ner
constellation
.«
Er nickte und stocherte im Gras.
Shirin sah ihn an. Los jetzt!
Sie stand auf, und als er zu ihr aufsah, winkte sie ihn zu sich auf Augenhöhe.
Es war ja nicht das erste Mal, dass sie miteinander quatschten. Umarmungen waren schon gelaufen, Tatschereien hier und da, zweimal ein Kuss – aber immer mit vielen Sprüchen verdünnt, und mit Kommentaren von anderen ringsum. Diesmal wollte sie es anders. Deshalb der Aufbruch vom Steg hinauf zur Haveldüne, deshalb die Hoffnung, dass keiner außer ihnen da ist. Sie wollte sehen, wie Axel allein war. Ob es so wäre, wie sie es sich vorstellte. Wenn es einen Kuss gab, einen richtigen, müsste sie wissen, ob es ihm ähnlich ging wie ihr. Zum ersten Mal. Nicht eine sportliche Ausziehnummer wie damals mit Mark. Nein, etwas Ernstes. Etwas Ehrliches. So wie ihre Eltern wollte sie nie werden.
Axel sah sie fragend an.
Sie blickte durchdringend und kam seinem Gesicht näher.
Das Gefühl war anders, als sie es erwartet hatte.
Ich habe mir das doch genau ausgemalt.
Aber da war nicht nur das Anziehende, da war auch Furcht und Magendrücken, und Unsicherheit mit etwas Peinlichkeit und … Um aus diesem Wust herauszukommen, küsste Shirin Axel auf den Mund.
Er erwiderte den Kuss, ließ sie nicht los. Als hätte er genau damit jetzt gerechnet. Er öffnete sogar die Lippen ein wenig, und es war ihr nicht mehr unangenehm.
Axel hielt Shirin fest, zog sie zu sich heran. Es war immer noch der eine, erste Kuss.
Plötzlich zuckte er.
Hat ihn eine Wespe gestochen? Shirin öffnete die Augen und nahm nur so viel Abstand von seinem Gesicht, dass sie ihn scharf sehen konnte. »Was is?«
»Ich hab … Es ist, es schmeckt nach … «
Wieder durchfuhr es Axel, sein Rumpf zuckte, wie es manchmal kurz vor dem Einschlafen passiert.
Verflucht, hat der einen Orgasmus, oder was?
Axel fiel vor Shirin auf die Knie, dann kippte er seitlich zurück ins Gras.
Sie lachte auf, aber dann sah sie seinen sich zusammenkrampfenden Oberkörper und den starren Blick. »Hey! Axel! Was ist mit dir?« Shirin beugte sich herunter, wich aber zurück, als die Beine des Jungen auszuschlagen begannen.
Er drehte die Augen nach oben, sie waren nur noch weiß.
Sein Handy fiel aus der Hemdtasche.
Shirin starrte auf den zuckenden Mund, in dem eine weiße Masse blubberte und herauslief.
Zwischen den Bäumen trat ein älteres Pärchen an die Lichtung.
»Heh! Hallo! Hilfe! Helfen Sie mir, mit ihm stimmt etwas nicht!«
Die beiden sahen herüber, dann zog die Frau den Mann in den Wald zurück.
Axel zitterte heftiger. Auf der Hose zwischen seinen Beinen bildete sich ein dunkler
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