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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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tastete, war es verschwunden.
    Als meine Mutter mit meinem Bruder Todd schwanger war, verließen wir unser beengtes Quartier am Logan Square und zogen nach Germantown in Pennsylvania. Die nächsten paar Jahre lebten wir in Übergangswohnungen für Militärangehörige und ihre Kinder – weiß getünchte Baracken mit Blick auf ein unbebautes Feld voller Wildblumen. Das Feld hieß bei uns »Acker«, und im Sommer saßen die Erwachsenen dort und plauderten, rauchten und ließen Löwenzahnwein herumgehen, während wir Kinder spielten. Meine Mutter brachte uns die Spiele ihrer Kindheit bei: Ochs am Berg, Alle Vögel fliegen hoch und Der Kaiser schickt Soldaten aus. Wir bastelten Gänseblümchenketten, die unsereHälse schmückten und unsere Häupter bekränzten. Abends fingen wir Glühwürmchen in Schraubgläsern, knipsten ihre Leuchtkörper ab und machten uns daraus Fingerringe.
    Meine Mutter brachte mir das Beten bei; von ihr lernte ich das Gebet, das sie von ihrer Mutter gelernt hatte. Müde bin ich, geh zur Ruh’, meine Seele hüte du. Bei Anbruch der Nacht kniete ich vor meinem Kinderbett, und sie stand mit ihrer unvermeidlichen Zigarette daneben und hörte zu, wenn ich ihr nachsprach. Nichts tat ich lieber, als meine Gebete zu sprechen, aber was ich da aufsagen musste, machte mir ein bisschen Angst, und ich löcherte sie mit Fragen. Was ist die Seele? Welche Farbe hat sie? Ich hatte den Verdacht, meine Seele könnte sich heimlich davonstehlen, während ich träumte, und nicht mehr wiederkommen. Ich tat alles, um nicht einzuschlafen und sie dazubehalten, wo sie hingehörte.
    Vielleicht um meine Neugier zu befriedigen, meldete meine Mutter mich in der Sonntagsschule an. Wir lernten abwechselnd Bibelverse und Jesusworte. Anschließend standen wir an und wurden der Reihe nach mit einem Löffel Scheibenhonig belohnt. In dem Honigtopf steckte nur ein Löffel für sämtliche hustenden Kinder. Den Löffel lehnte ich instinktiv ab, aber mit dem Gottesbild freundete ich mich schnell an. Es machte mir Vergnügen, mir eine höhere Macht über uns vorzustellen, die in ständiger Bewegung war, wie flüssige Sterne.
    Ich war unzufrieden mit meinem Kindergebet und holte mir bei meiner Mutter die Erlaubnis, mir meine Gebete selbst auszudenken. Ich war erleichtert, als ich nicht länger … und sollt ich sterben in der Nacht, gib du auf meine Seele acht beten musste, sondern sagen konnte, was ich auf dem Herzen hatte. Derart befreit, verfasste ich in meinem Bett neben dem Kohleofen mit wachsender Begeisterung lange, leise gemurmelte Briefe an Gott. Ich brauchte nicht viel Schlaf und muss Gott mit meinen endlosen Gelöbnissen, Visionen und Plänen zum Wahnsinn getrieben haben. Aber mit der Zeit machte ich Erfahrungen mit einer anderen Art von Gebet, einem stummen, zu dem weniger Sprechen als Zuhören gehörte.
    Meine kleine Wortkaskade mündete in einem komplexen Gefühl des An- und Abschwellens. Ich trat ein ins strahlende Reich der Vorstellungskraft. Dieser Vorgang verstärkte sich noch während der Fieberschübe bei Virusgrippe, Masern, Windpocken und Mumps. Mit jeder weiteren Kinderkrankheit wurde mir das Privileg einer neuen Erkenntnisebene zuteil. Wenn ich dann ganz in mich selbst versunken war und über mir eine imaginäre Schneeflocke trudelte, deren Symmetrie durch meine halb geschlossenen Lider noch ausgeprägter erschien, erhaschte ich ein kostbares Souvenir, eine Scherbe vom himmlischen Kaleidoskop.
    Meine Liebe zum Gebet bekam nach und nach Konkurrenz durch meine Liebe zum Buch. Ich saß zu Füßen meiner Mutter und sah zu, wie sie Kaffee trank und Zigaretten rauchte, ein Buch auf dem Schoß. Ihre Entrücktheit faszinierte mich. Obwohl ich noch nicht mal im Kindergarten war, sah ich mir gerne ihre Bücher an, befühlte das Papier und hob das Seidenpapier von den Frontispizen. Ich wollte wissen, was da drin stand, dass es sie derart fesselte. Als meine Mutter entdeckte, dass ich ihre karmesinrote Ausgabe von Foxes Buch der Märtyrer unter meinem Kopfkissen versteckt hatte, in der Hoffnung, so den Inhalt aufsaugen zu können, setzte sie sich mit mir hin und machte sich an die mühsame Aufgabe, mir das Lesen beizubringen. Wir arbeiteten uns mit großem Einsatz von Mother Goose zu Dr. Seuss vor. Als ich keine Hilfe mehr brauchte, wurde mir erlaubt, neben ihr auf unserem gepolsterten Sofa zu sitzen und zu lesen, sie las In den Schuhen des Fischers, ich Die roten Schuhe.
    Ich war von Büchern einfach hingerissen. Ich sehnte

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