Just Kids
war mein treuer Leutnant, und wir krochen bäuchlings über die staubigen, sommerlichen Felder an den Steinbrüchen. Meine Schwester stand pflichtschuldig bereit, um unsere Wunden zu verbinden und uns Verdurstenden Wasser aus der alten Feldflasche unseres Vaters trinken zu lassen.
An einem solchen Tag, als ich mich unter sengender Sonne humpelnd zurück zur Heimatfront schleppte, passte mich meine Mutter ab.
»Patricia«, ermahnte mich meine Mutter, »zieh dir ein Hemd an!«
»Es ist zu heiß«, stöhnte ich. »Die anderen haben auch keins an.«
»Heiß oder nicht, es wird Zeit, dass du anfängst, ein Hemdchen zu tragen. Du bist beinah schon eine junge Dame.« Ich protestierte vehement und verkündete, dass ich nie irgendwas anderes als ich selbst sein würde, dass ich vom Stamm Peter Pans sei, und wir würden nicht erwachsen. Meine Mutter gewann den Streit, und ich zog ein Hemd an, aber ich kann gar nicht genug betonen, wie sehr ich mich in diesem Moment von ihr verraten fühlte. Ich beobachtete mitleidig, wie meine Mutter ihre weiblichen Aufgaben verrichtete, und nahm ihre üppigen weiblichen Formen wahr. Das Ganze erschien mir vollkommen wider meine Natur. Gegen aufdringliche Parfüms und blutrote Lippenstiftschlitze, so weit verbreitet in den Fünfzigern, sträubte sich alles in mir. Eine Zeit lang grollte ich ihr. Sie war die schlechte Nachricht und derenÜberbringerin in Personalunion. Geschockt und aufsässig, meinen Hund zu meinen Füßen, träumte ich vom Reisen. Träumte davon, auszureißen und zur Fremdenlegion zu gehen, schnell im Rang aufzusteigen und mit meinen Männern durch die Wüste zu ziehen.
Ich fand Trost in meinen Büchern. Seltsamerweise war es ausgerechnet Louisa May Alcott, die mir ein positives Bild von der weiblichen Bestimmung vermittelte: Jo, der Wildfang unter den vier Marsh-Mädchen in Betty und ihre Schwestern, schreibt, um während des Bürgerkriegs ihre Familie mit durchzubringen. Sie füllt Seite um Seite mit ihrem rebellischen Gekritzel, das später auf den Literaturseiten der Lokalzeitung veröffentlicht wird. Sie machte mir Mut, ein neues Ziel anzugehen, und bald bastelte ich an kleinen Geschichten oder spann abenteuerliche Erzählungen für meinen Bruder und meine Schwester. Damals hat sich in mir die Idee festgesetzt, irgendwann ein Buch zu schreiben.
Im darauffolgenden Jahr unternahm mein Vater mit uns einen unserer seltenen Familienausflüge zum Museum of Art in Philadelphia. Meine Eltern arbeiteten hart, und vier Kinder mit dem Bus nach Philadelphia zu schaffen war anstrengend und kostspielig. Es war der einzige derartige Trip, bei dem die ganze Familie mitkam, und meine erste Begegnung mit Kunst. Ich empfand eine gewisse physische Verwandtschaft mit den langen, gelangweilten Modiglianis; war berührt von den elegant unbewegten Motiven von Sargent und Thomas Eakins; geblendet vom flirrenden Licht der Impressionisten. Aber was mich am tiefsten beeindruckte, war ein Saal, der Picasso vorbehalten war, von den frühen Harlekins bis zum Kubismus. Picassos brutales Selbstvertrauen verschlug mir den Atem.
Mein Vater bewunderte das zeichnerische Talent und den Symbolismus im Werk von Salvador Dalí, konnte hingegen mit Picasso nichts anfangen, was zu unserer ersten ernsthaften Meinungsverschiedenheit führte. Meine Mutter war vollauf damit beschäftigt, meine Geschwister im Zaum zu halten, die über die glatteOberfläche des Marmorbodens schlitterten. Ich bin sicher, dass ich, als wir die große Freitreppe hinuntergingen, äußerlich noch genau dieselbe war – eine mürrische Zwölfjährige mit schlaksigen Armen und Beinen. Aber insgeheim wusste ich, dass ich völlig umgekrempelt war, bewegt von der Erkenntnis, dass Menschen Kunst hervorbringen, dass Künstler etwas sehen, was andere nicht sehen konnten.
Ich hatte keinerlei Indiz, dass ich das Zeug zur Künstlerin hatte, obwohl ich danach hungerte, eine zu sein. Ich stellte mir vor, die Berufung zu spüren und betete darum, es möge so kommen. Aber als ich eines Abends Das Lied von Bernadette mit Jennifer Jones sah, wurde mir plötzlich klar, dass die junge Heilige gar nicht darum gebeten hatte, berufen zu werden. Es war die Äbtissin, die sich eine Heilige in ihrem Kloster wünschte, auch wenn Bernadette, die Erwählte, nur ein unbedeutendes Bauernmädchen war. Das machte mir Sorgen. Ich fragte mich, ob ich wirklich zur Künstlerin berufen war. Die Brotlosigkeit einer Künstlerexistenz schreckte mich nicht, die
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