Justiz
zugeführt. Informationen werden 19
weitergegeben oder unterschlagen. So war etwa der Kommandant mir gegenüber immer offen, gesprächig, erzählte mir freiwillig alles, ließ mich in wichtige Dokumente Einsicht nehmen, überschritt auch öfters seine Befugnisse, ist überhaupt, auch heute noch, mir gewogen. Ja sogar Stüssi-Leupin war mir gegenüber durchaus zuvorkommend, auch als ich längst im anderen Lager stand, erst jetzt hat sich der Wind gedreht, doch das ja wohl aus einem ganz anderen Grund. So brauche ich denn die Gespräche nicht zu erfinden, sondern nur zu rekonstruieren. Schlimmstenfalls sind sie zu erahnen.
Nein, meine »schriftstellerischen« Schwierigkeiten liegen woanders. Wenn ich mir auch im klaren darüber bin, daß selbst mein geplanter Mord und Selbstmord nicht ein strenger Beweis meiner Glaubwürdigkeit zu sein vermögen, so überfällt mich doch immer wieder beim Niederschreiben der Ereignisse die wahnwitzige Hoffnung, noch einen solchen zu erbringen: etwa indem ich entdecke, wie Kohlers Revolver beseitigt wurde. Die Tatwaffe ist nie gefunden worden. Zunächst ein nebensächlicher Umstand. Er blieb ohne Einfluß auf den Prozeß. Der Täter stand fest, Zeugen waren genügend vorhanden, das Personal, die Gäste des ›Du Théâtre‹.
Wenn deshalb der Kommandant zu Beginn der Untersuchung alles aufbot, den Revolver herzuschaffen, so nicht, um Kohler zu belasten
— was ja in keiner Weise nötig war –, sondern nur der Ordnung zuliebe, es gehörte sozusagen zu seinem kriminalistischen Stil. Doch hatte der Kommandant keinen Erfolg. Unerklärlicherweise. Dr. h. c.
Isaak Kohlers Weg vom ›Du Théâtre‹ bis zur Tonhalle war bekannt, minutiös zu belegen. Er war nach dem Schuß auf den Tournedos-Rossini-verschlingenden Professor geradewegs in seinen Rolls-Royce gestiegen und hatte sich neben dem whiskyträumenden Minister niedergelassen, wir wissen es. Beim Flughafen verließen Mörder und Minister den Wagen, der Chauffeur (der ja nichts von der Tat wußte) hatte keinen Revolver bemerkt, auch der Direktor der Swissair nicht, der zur Begrüßung hergeeilt kam. In der Halle plauderte man, bewunderte pflichtgemäß das Gebäude, besser, dessen Innenarchitektur, schritt dann schlendernd zur Maschine, Kohler den Minister leicht stützend. Feierliche Verabschiedung, Rückkehr mit dem Direktor in die Halle, noch ein kurzer Blick auf 20
die davonrollende Maschine, Einkauf am Kiosk, ›NZZ‹ und
›National-Zeitung‹, Durchquerung der Halle, immer noch mit dem Direktor, doch nun ohne Blick auf die Innenarchitektur, dann in den wartenden Wagen, vom Flughafen an die Zollikerstraße, zweimaliges Hupen vor dem Haus der ahnungslosen Witwe, die gleich erschien (man war in Eile), von der Zollikerstraße geradewegs in die Tonhalle. Von der Waffe keine Spur, auch die Witwe hatte nichts bemerkt. Der Revolver hatte sich in nichts aufgelöst. Der Kommandant ließ den Rolls-Royce aufs genaueste untersuchen, dann die Strecke, die Kohler zurückgelegt hatte, ferner dessen Villa, den Garten, das Zimmer der Köchin, die Wohnung des Chauffeurs an der Freiestraße. Nichts. Der Kommandant drang noch einige Male in Kohler, wetterte sogar, schritt zum Dauerverhör. Vergeblich. Der Dr.
h. c. bestand es glänzend, nur Hornusser, der Untersuchungsrichter, der das Verhör wiederaufnahm, brach zusammen. Dann Protest von seiten des Staatsanwalts, die Polizei und der Untersuchungsrichter brauchten nicht allzu pedantisch zu sein, Revolver hin oder her, man lege nicht allzuviel Wert darauf, ihn weiterzusuchen sei eine Verschleuderung von Steuergeldern, der Kommandant und der Untersuchungsrichter mußten die Suche aufgeben; und die verschwundene Waffe erhielt erst später, durch Stüssi-Leupin, ihre Bedeutung. Daß sie mir in diesen Tagen eine neue Hoffnung einflößt, ist eine andere Geschichte, gehört zu den Schwierigkeiten meines Unterfangens. Meine Rolle als Retter der Gerechtigkeit ist jämmerlich, ich vermag nichts als zu schreiben, kaum sehe ich daher von weitem eine Möglichkeit, anders einzugreifen, auf eine andere Weise zu handeln, lasse ich meine Hermes-Baby, renne zu meinem Wagen (wieder VW), starte, brause davon, so vorgestern morgen zum Personalchef der Swissair. Eine Idee war mir gekommen, eine gewaltige Lösung. Ich fuhr wie im Rausch, wie durch ein Wunder kam ich heil zum Flughafen, blieben andere heil. Doch wollte mir der Personalchef keine Auskunft geben, ließ mich nicht einmal vor.
Die Rückkehr ging in
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