Kälteeinbruch (German Edition)
gearbeitet.
Anton stöhnte. «Richtig, Weihnachten.»
«Genau. Vor ein paar Tagen habe ich Truls Petter Ambjørnsen getroffen, der hat mir erzählt, dass sein Sohn nach und nach den Laden übernimmt. Vielleicht sollte ich demnächst mal hinfahren und Hallo sagen und ihm erzählen, dass ich vor vielen Jahren für seinen Großvater gearbeitet habe. Da freut er sich bestimmt. Truls Martin heißt er, soweit ich weiß. Vielleicht hab ich Glück und find was im Sonderangebot.»
«Ja, wär ja auch höchst seltsam, wenn du mal den vollen Preis für was bezahlen würdest.» Anton grinste.
«Da hast du recht», antwortete sein Vater ernst. «Was wünschst du dir?»
Anton blinzelte in die Sonne. Musterte die Omega an seinem Handgelenk. «Weiß nicht. Eine Breitling vielleicht? Oder eine Bulgari?»
«Eine Bulgari?», hustete sein Vater. «Ich bin doch kein Millionär! Hast du nicht erst vor ein paar Jahren eine Omega bekommen? Gefällt sie dir nicht mehr?»
«Doch, klar … Fahr du nur runter und schmier dem dritten Truls Honig um den Mund. Wenn du den Geizkragen spielen willst, kann ich mir jederzeit …»
«Nix», unterbrach ihn sein Vater. «Geld kriegst du keins. Du Lümmel. Ich melde mich. Mach’s gut. Mama lässt übrigens grüßen. Also bis dann.»
Noch bevor Anton etwas sagen konnte, hatte sein Vater aufgelegt.
Er spiegelte sich in den großen Fenstern des Autohauses. Nahm den Schlips ab, faltete ihn zusammen und steckte ihn in die Tasche. Er sah müde, ungepflegt und dreckig aus. Sein weißes Hemd hatte drei Flecken auf der Brust. Dennoch hatte er eine gewisse Ausstrahlung. Er war ein Siegertyp. Das sah er seinem Spiegelbild in der Scheibe an.
Gab es überhaupt etwas, was er nicht hinbekam? Heute jedenfalls nicht. Heute war sein großer Tag. Und den wollte er genießen. Dass er in den letzten zwei Tagen höchstens sechs Stunden Schlaf bekommen hatte, spürte er nicht.
Bis er im Hinterzimmer des Autohauses einen Pot nach dem anderen abzuräumen begann, hatte er Angst gehabt, ihn verloren zu haben: seinen Instinkt, der noch vor wenigen Jahren so ausgeprägt gewesen war. Seinen Instinkt, der ihm sagte, ob er hinschmeißen, mitgehen oder erhöhen sollte. Seinen Instinkt, der ihm sagte, ob er das Richtige oder Falsche tat – bevor er die Entscheidung traf. Leider war dieser Riecher merklich schwächer geworden. Außerdem konnte er Gesichter nicht mehr so gut lesen, aber vermutlich lag das daran, dass Anton immer häufiger Internetpoker und kaum noch vis-à-vis spielte. Ein Talent musste gepflegt werden, andernfalls verkümmerte es, das war doch logisch.
Anton sagte dem Taxifahrer, er wolle nach St. Hanshaugen, sie müssten vorher aber noch einen Stopp im Bogstadveien einlegen, bei
Meny
. Hinter der Fleischtheke stand ein junger Verkäufer, auf dessen linker Wange etliche prallgefüllte Eiterpickel prangten, deren Anordnung an den Großen Wagen erinnerte. Anton bat ihn, ihm vier Zentimeter von seinem feinsten Chateaubriand abzuschneiden.
«Schatobra was?»
, der Verkäufer machte ein ratloses Gesicht.
Anton sah ihn an. Zwei Sekunden lang fixierte er den Großen Wagen, bevor er wieder Augenkontakt herstellte. «Filet. Vom Rind. Haben Sie das?»
«Jawohl.»
«Ich spreche von einem ganzen. An dem noch niemand rumgeschnippelt hat. Und butterweich soll es sein, kapiert? Ich will keins, das gerade frisch aus dem Tier herausgeschnitten wurde.»
Der Verkäufer nickte und verschwand in dem angrenzenden Raum, in dem die Delikatessen zubereitet wurden, die jetzt die meterlange Frischetheke zierten.
Klatschend landete das Filet auf der Theke. «Das ganze?»
«Nein … Ich will ein Stück aus der Mitte. Vier Zentimeter dick.»
«Das wäre dann ungefähr so viel», sagte der Verkäufer und maß das Fleischstück mit seinen beiden Zeigefingern ab.
«Ihr Augenmaß funktioniert jedenfalls bestens.»
«
Schatobra
… Noch nie gehört», sagte er, als er das Stück abschnitt.
«Sagt auch fast niemand außer mir …»
«Ach so», grinste der Verkäufer, «dann wundert mich das nicht.»
Anton wartete, bis er aufblickte, und fügte hinzu: «… und sämtlichen Köchen auf der Welt.»
Ohne ein weiteres Wort nahm er das Stück Fleisch entgegen und ging weiter. Füllte seinen Korb mit zwei Flaschen Cola, einer Tüte Kartoffelspalten, Champignonsoße, frischen Pfifferlingen, einer Dose Maiskölbchen und dem Nachtisch: einem mit Schokolade überzogenen Weihnachtsschwein aus Marzipan. Er blieb stehen und musterte die vielen
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