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Kaeltezone

Kaeltezone

Titel: Kaeltezone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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gefallen, nicht wahr? Ich habe nie gesehen, dass du deine Nase in ein Buch gesteckt hättest. Was hast du dafür bekommen, deine Kameraden zu verraten? Deine Freunde zu verraten? Was haben sie dir als Belohnung dafür gegeben, dass du deine Freunde bespitzelt hast?«
    »Ihr ist es nicht gelungen, mich zu missionieren, aber du bist sofort umgefallen«, stieß Emíl hervor. »Ilona war eine Betrügerin.«
    »Weil sie dich abgewiesen hat?«, fragte er. »Weil sie nichts mit dir zu tun haben wollte? Hat es dich so getroffen, dass sie dich nicht wollte?«
    Emíl schaute ihn an.
    »Keine Ahnung, was sie an dir gefunden hat«, sagte er, und ein Grinsen spielte um seine Lippen. »Keine Ahnung, was sie in diesem Intelligenzbolzen mit dem Kopf voller Ideale gesehen hat, der Island zu einem sozialistischen Staat machen wollte, aber ruckzuck eine Kehrtwendung gemacht hat, als er sie bespringen durfte! Mir ist schleierhaft, was sie in dir gesehen hat.«
    »Du wolltest dich also rächen«, sagte er. »Darum ging es also, du wolltest dich an ihr rächen.«
    »Ihr wart wahrhaftig gut miteinander bedient«, sagte Emíl. Er starrte Emíl an. Ein Kälteschauer durchrieselte ihn. Er erkannte seinen Freund nicht mehr wieder, er wusste nicht, wer oder was aus Emíl geworden war. Er wusste nur, dass er der gleichen Bösartigkeit ins Gesicht blickte, die er als junger Student kennen gelernt hatte. Eigentlich hätte er, von Hass und Zorn überwältigt, sich auf Emíl stürzen müssen, aber plötzlich verspürte er kein Bedürfnis mehr danach. Verspürte nicht mehr den Drang, seine jahrelangen Sorgen, seine Furcht und seine panischen Ängste an ihm auszulassen. Nicht, weil er noch nie in seinem Leben einen anderen Menschen angegriffen hatte. Weil er nie gewalttätig geworden und nie in eine Schlägerei verwickelt worden war. Er verachtete Gewalt, in welcher Form auch immer. Aber jetzt hätte eigentlich eine solche Wut in ihm aufsteigen müssen, dass er den Wunsch verspüren sollte, Emíl umzubringen. Eine lang angestaute Wut hätte ihn übermannen sollen, doch stattdessen fühlte er sich innerlich immer leerer und empfand nichts als Kälte.
    »Und du hast völlig Recht«, fuhr Emíl fort, während sie sich gegenüberstanden. »Du warst es selbst. Du kannst niemand anderem die Schuld daran geben als dir selbst. Du hast mir freiwillig von diesen Geheimtreffen erzählt, von ihren Ansichten und den Ideen, die Menschen dazu anzustacheln, gegen den Sozialismus zu kämpfen. Du warst es selbst. Wenn es das ist, was du unbedingt wissen wolltest, kann ich es dir bestätigen. Es waren deine Worte, die dazu geführt haben, dass Ilona verhaftet wurde! Ich wusste nichts darüber, wie sie arbeitete, aber du hast es mir gesagt. Erinnerst du dich? Danach haben sie angefangen, sie zu beschatten. Danach haben sie dich vorgeladen und dich gewarnt. Aber da war es schon zu spät. Die Sache hatte schon ihre Kreise gezogen. Sie lag nicht mehr in unseren Händen.«
    Er konnte sich gut daran erinnern, denn er hatte wieder und wieder darüber nachgedacht, ob er irgendetwas zu irgendjemandem gesagt hatte, was er nicht hätte sagen dürfen. Er war immer davon ausgegangen, dass er seinen Landsleuten vertrauen konnte, darauf vertrauen konnte, dass Isländer einander nicht bespitzelten. Dass diese kleine Gruppe von Freunden sich nicht gegenseitig bespitzelte. Dass die Gedankeninquisition nichts mit den Isländern zu tun hatte. Im Vertrauen darauf hatte er seinen Freunden davon erzählt, was für Ansichten Ilona und ihre Bekannten hatten.
    Er sah Emíl an und musste an die Menschenverachtung denken und sich fragen, wie man einzig und allein darauf eine Gesellschaft hatte aufbauen wollen.
    »Immer wieder habe ich darüber nachgedacht, als alles vorbei war«, sagte er endlich wie zu sich selbst, als seien Zeit und Raum entschwunden und nichts spiele eine Rolle mehr. »Als alles vorbei und nichts mehr zu retten war. Als ich schon längst wieder zu Hause war. Ich war es, der dir von Ilonas geheimen Treffen erzählte. Ich weiß nicht, warum ich das getan habe, aber so war es nun einmal. Ich glaube sogar, dass ich dich und die anderen ermuntert habe, auch solche Treffen zu besuchen. Zwischen uns Isländern gab es keine Geheimnisse. Wir konnten unbesorgt über alles reden. Ich habe nicht mit jemandem wie dir gerechnet.«
    Er schwieg eine Weile.
    »Wir haben zusammengehalten«, fuhr er dann fort. »Irgendjemand hat Ilona angezeigt. An der Uni waren viele Studenten, und es gab

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