Kaeltezone
Vielleicht hatte er ihr nicht genügend Aufmerksamkeit oder Zuneigung gezeigt. Er wusste es nicht.
»Du wolltest dich nicht Hals über Kopf in etwas hineinstürzen«, sagte er. »Und ich genauso wenig. In meinem Leben hat es seit langem keine Frau gegeben.«
Er verstummte. Er sehnte sich danach, ihr zu sagen, dass er die allermeiste Zeit ganz allein in dieser Wohnung gehockt hatte, mit nichts als Büchern um sich herum, und dass allein die Tatsache, dass sie jetzt auf dem Sofa saß, ihn unglaublich froh machte. Sie war so ganz anders als alles, was er gewöhnt war, wie eine leichte Sommerbrise. Und dass er nicht wusste, wie er damit umgehen sollte. Wie er ihr sagen könnte, dass er, seitdem er ihr begegnet war, an nichts anderes dachte und sich wünschte, mit ihr zusammen zu sein.
»Ich wollte nicht abweisend wirken«, sagte er. »Aber so etwas braucht seine Zeit, ganz besonders für mich. Und du hast natürlich … ich meine, so eine Scheidung ist …«
Sie sah, dass er sich schwer tat, über solche Dinge zu reden. Immer, wenn sie auf ihre Beziehung zu sprechen kamen, wurde er verlegen, er geriet ins Stocken und wurde einsilbig. Er redete an und für sich schon nicht viel, und vielleicht fühlte sie sich deswegen in seiner Gegenwart so wohl. Bei ihm gab es keine Verstellung. Er täuschte nie etwas vor. Er hatte wahrscheinlich keine Ahnung, wie er es anstellen sollte, anders zu sein, als er war. Er war durch und durch aufrichtig und ehrlich in allem, was er sagte und tat. Das spürte sie und fand darin die Sicherheit, die ihr so lange gefehlt hatte. Sie fand einen Mann in ihm, dem sie vertrauen konnte.
»Entschuldige«, sagte sie lächelnd. »Ich wollte das nicht in irgendwelche Vertragsverhandlungen ausarten lassen. Aber manchmal ist es gut zu wissen, wo man steht. Das verstehst du sicher.«
»Vollkommen«, sagte Erlendur, der spürte, dass die Spannung zwischen ihnen ein wenig nachließ.
»Es braucht seine Zeit, und wir werden einfach sehen«, sagte sie.
»Ich glaube, das ist sehr vernünftig«, nickte er.
»Also schön«, sagte sie und erhob sich. Erlendur stand ebenfalls auf. Sie sagte irgendetwas darüber, dass sie sich mit ihren Söhnen treffen musste, aber er hörte nur mit halbem Ohr hin. Er dachte an etwas anderes. Sie ging zur Tür, und er half ihr in den Mantel. Sie spürte, dass er unschlüssig war. Sie öffnete die Wohnungstür und fragte, ob alles in Ordnung sei.
Erlendur blickte sie an.
»Geh nicht«, sagte er.
Sie hielt in der Tür inne.
»Bleib bei mir«, sagte er.
Valgerður zögerte.
»Bist du sicher?«
»Ja«, sagte er, »geh nicht.«
Sie stand unbeweglich da und schaute ihn lange an. Er trat zu ihr, führte sie wieder zurück in den Flur, schloss die Tür und begann, ihr den Mantel auszuziehen, ohne dass sie protestierte.
Sie liebten sich ohne Hast und in völliger Harmonie. Beide waren anfangs etwas zurückhaltend und unsicher, aber das legte sich. Sie sagte ihm, er sei der zweite Mann in ihrem Leben, mit dem sie geschlafen hatte.
Sie lagen im Bett, und er blickte zur Decke, während er ihr erzählte, dass er manchmal in die Ostfjorde fuhr, die Heimat seiner Kindheit, und sich in ihrem früheren Wohnhaus einquartierte, das nur noch aus nackten Wänden und einem halb eingefallenen Dach bestand. Nur wenig deutete darauf hin, dass seine Familie dort gelebt hatte. Trotzdem gab es noch Reste von entschwundenem Leben. Ein Stück kariertes Linoleum, an das Muster konnte er sich erinnern. Kaputte Schränke in der Küche. Er sagte ihr, es sei gut, dorthin zu kommen und sich mit seinen Erinnerungen zur Ruhe zu legen und wieder einen Ort in der Welt zu finden, der voller Licht und Stille war.
Valgerður drückte seine Hand.
Dann begann er, ihr die tragische Geschichte eines jungen Mädchens zu erzählen, das sein Zuhause und seine Mutter verließ, ohne genau zu wissen, wonach es suchte. Diese junge Frau hatte es nicht einfach gehabt, sie war willensschwach und hatte Angst vor sich selbst und ihrem Platz in der Welt, was vielleicht verständlich war, weil sie nie das bekommen hatte, wonach sie sich am meisten sehnte. Sie hatte das Gefühl, dass etwas in ihrem Leben fehlte. Es war, als fühlte sie sich um etwas betrogen. Sie torkelte in einem merkwürdigen Selbstzerstörungstrieb vorwärts und verstrickte sich darin mehr und mehr, bis sie am Ende in den eigenen Vernichtungsmechanismen festsaß. Als sie gefunden wurde, erhielt sie wieder ein Zuhause und wurde gesund gepflegt, aber kaum
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