Kaiserhof Strasse 12
Soldaten holen wollten.
Das glaube er nicht, unterbrach mich der Amerikaner. Ausländer würden nicht eingezogen, und nach meinem Paß sei ich doch ein Ausländer.
Ich versicherte ihm, daß es trotzdem so gewesen sei, er könne sich ja erkundigen. In Frankfurt werde man ihm auch bestätigen, daß ich dort seit meiner Geburt gelebt habe. Der junge Kommandant hörte aufmerksam zu, was ihm sein Dolmetscher übersetzte. Er ließ sich noch einmal meinen Fremdenpaß zeigen, blätterte ihn durch, und nun hatte ich das Gefühl, er glaube meinen Angaben.
»Wir werden uns in Frankfurt erkundigen«, sagte er, »bis dahin bleiben Sie in dem Haus, wo Sie bisher gewohnt haben.« Damit war ich entlassen. Der Soldat, der mich abgeholt hatte, brachte mich auch wieder zurück.
Die Jagdhausgesellschaft war sehr überrascht, daß ich wieder zurückkam. Sie hatten mich offenbar schon abgeschrieben. Frau S., der am stärksten die Enttäuschung anzumerken war, fragte sogleich: »Was wollte man von Ihnen auf der Kommandantur?«
»Darüber darf ich nicht sprechen«, gab ich zur Antwort und wandte mich ab. Platzen sollte sie vor Neugierde! Vielleicht hatte sie mir den ganzen Schlamassel eingebrockt.
Wieder wurde die Distanz zwischen mir und den andern ein Stück größer.
Um nicht den ganzen Tag mit den Frauen zusammenzusein, ging ich jetzt täglich nach Heimarshausen und half Bäuerinnen, deren Männer noch nicht zurückgekommen waren, bei der Feldarbeit. Immer seltener ließ ich mich im Jagdhaus blicken, was den übrigen Bewohnern nur recht war. Ich schlief oft im Haus von Justus Mohl, entgegen der Anordnung des amerikanischen Kommandanten.
Mohls Frau, die selbst keine Kinder hatte, nahm mich auf wie ihren eigenen Sohn, wusch meine Wäsche, stopfte meine Strümpfe, fragte, was ich gern essen wollte, und machte mir am Abend auf dem Sofa im Wohnzimmer das Bett zurecht. Sie mochte gleich alt wie ihr Mann sein, Mitte bis Ende vierzig, und war, wie in diesem Alter die meisten Frauen auf dem Land, längst jenseits von Gut und Böse. Sie war klein, gedrungen, ohne Taille, mit dicken Beinen, die immer in schwarzen Wollstrümpfen steckten, und hatte einen Watschelgang. Nur wenn sie einmal lachte, was sehr selten vorkam, denn Justus hatte nie ein gutes Wort für sie, erkannte man, daß sie früher doch schön gewesen sein mußte. Sonst waren von ihrer Jugend nur noch zwei kleine goldene Ohrringe mit roten Steinen übriggeblieben, die sie nie ablegte -und auf dem Speicher zwischen Gerumpel und Spinnweben in einer vermoderten Pappschachtel mit einem rosa Seidenband ein vergilbtes Hochzeitskrönchen, das ich irgendwann einmal bei einem Streifzug über den Dachboden entdeckte.
Ich hatte eine besondere Zuneigung zu ihr, denn sie war ein guter Mensch, selbstlos und zu allen großzügig, sogar zu Justus, obwohl der ihr großen Kummer bereitete. Eine Freundin reichte ihm nicht, er brauchte zwei, um sich seine Männlichkeit bestätigen zu lassen, eine in einem Nachbardorf, von der es hieß, sie sei etwas beschränkt, und eine Bäuerin in Heimarshausen, deren Mann schon zu Anfang des Krieges gefallen war.
Bald gewann ich Frau Mohls Vertrauen, und sie hatte das Bedürfnis, mit mir über ihren Kummer zu sprechen. Sonst gab es niemanden, dem sie sich anvertrauen, dem sie einmal ihr Herz ausschütten konnte.
Eines Tages kam eine entfernte Verwandte Mohls aus Holland zurück. Sie war dort als Wehrmachtshelferin zum Militär eingezogen, für kurze Zeit in Gefangenschaft geraten und entlassen worden. Schon vorher hatte sie im Haus des Jagdaufsehers gewohnt und die kleine Kammer dort nun wieder bezogen, worüber Frau Mohl gar nicht glücklich war und bitter sagte: »Jetzt geht das Theater von neuem los.« Gerdi hieß sie, war einige Jahre älter und einige Zentimeter größer als ich. Mit ihrem knochigen Körperbau und ihrem großen kantigen Gesicht erinnerte sie mich irgendwie an einen Ackergaul. Dazu paßte auch ihr starkes Gebiß, das sie gern und oft zeigte. Ihre dunklen strähnigen Haare fielen fast bis auf die Schultern. Die sehnigen Hände konnten zupacken, sie war stark wie ein Mann.
Mit ihrem Einzug kam Leben ins Haus. Immerzu wollte sie feiern, jeden Abend. Der Jagdaufseher mußte manche Flasche aus seinen Wein- und Schnapsvorräten herausrücken, er konnte Gerdi nicht widerstehen. Wenn sie den Arm um ihn legte und ihre knochige Backe an seine rieb, wurde er schwach und holte noch eine Flasche aus dem Keller. Dafür durfte er sie auch, wenn seine
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