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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Senger
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Halbschlaf, schreckte aber beim leisesten Geräusch auf, denn jedesmal glaubte ich, nun kämen die Polen.
    Die Axt ließ mich immer noch nicht in Ruhe. Jetzt begann sie zu wachsen und wurde ein riesiges Schlachterbeil. Dann wuchs auch der Stiel, und das Schlachterbeil verwandelte sich in ein Henkerbeil. Zwei von oben bis unten tätowierte Arme hielten den Stiel fest. Breitbeinig stand der Kerl, zu dem die tätowierten Arme gehörten, am Fußende des Bettes und hatte eine spitz zulaufende Kapuze wie vom Klu Klux Klan über den Kopf gestülpt. Hell hob sich das geschliffene Eisen von dem düsteren Hintergrund ab. Es war ein ganz besonderes Henkerbeil, das Fratzen schnitt und sich wellenförmig verbog, als läge es auf dem Grund eines klaren, leicht bewegten Gewässers.
    Es wurde Tag, und die Polen kamen nicht.
     
    Oft habe ich in späteren Zeiten an Heimarshausen zurückgedacht und an all das, was dort geschehen ist, und immer wieder kam die Erinnerung an die Nacht mit der Axt. Ich habe mich gefragt, warum ich die Axt nicht weggeworfen habe. Ich wollte sie ja wegwerfen, aber mein Arm war kraftlos, war wie eingeschlafen, und meine Hand nicht fähig, den Axtstiel zu fassen. Ich war wie gelähmt. Diese Empfindung des Gelähmtseins hatte ich oft in der Vergangenheit, schon während meiner Schulzeit. Sie hat mich ein Leben lang begleitet. An diesem Gelähmtsein bin ich fast verzweifelt, habe es verflucht und bin es doch nicht losgeworden.
    Es geschah auf der Straße, daß ein gleichaltriger Junge meinen Bruder Alex verhaute. Ich hatte keine Angst vor ihm, hatte ihn am Arm gepackt und wollte ihn schlagen - aber ich konnte nicht. Es geschah, daß ich mich in einer Diskussionsrunde zu Wort meldete, weil ich glaubte, etwas Wichtiges sagen zu müssen, aufstand - und keinen Ton herausbrachte. Es geschah, daß ich auf eine Frau zuging, um ihr einen Antrag zu machen, ich wußte, sie wartete darauf - und keine Macht der Erde hätte ein Wort aus mir herausgelockt.
    Ich glaube auch zu wissen, wo diese Lähmung ihren Anfang nahm: im Hinterhaus der Kaiserhofstraße. Dort wurde der Keim gelegt. Papa, Paula, Alex und ich, wir waren alle zur Inaktivität verurteilt. Mama zwang uns dazu. Aus Angst, wir andern könnten vielleicht einen Fehler machen, könnten uns verraten, hat sie für die ganze Familie gedacht und gehandelt.
    Diese Angst übertrug sie auf mich. Die Angst verkrampfte zur Lähmung. Sie hat mich daran gehindert, auf die Amerikaner zuzugehen und zu sagen: »Ich bin Jude!« Sie hat mich auch daran gehindert, die Axt in weitem Bogen zum Fenster hinauszuschleudern.
     
    Am späten Vormittag kamen die Polen, ein Trupp von acht Mann, bewaffnet mit Gewehren, Messern und Eisenstangen. Vom Fenster aus sahen wir sie aus dem Wald kommen und sich um das Haus verteilen. Unsere Äxte hatten wir vernünftigerweise bereits am frühen Morgen wieder dorthin gestellt, wo sie hingehörten, zum Holz.
    Einige Minuten später schlug einer gegen die Tür und rief: »Aufmachen!« Während ich nach draußen ging, die Haustür zu öffnen, hielten sich die anderen Jagdhausbewohner im großen Zimmer im Erdgeschoß auf.
    Zwei Gewehre waren auf mich gerichtet. Ein Pole drückte mir den Lauf gegen die Brust und schob mich zur Wand zurück.
    »Wo sind andere Leut?« fragte er in gebrochenem Deutsch. Ich antwortete: »Im Wohnzimmer.« »Geh vor!«
    Ich folgte dem Befehl und ging voraus. Jetzt hatte ich den Gewehrlauf im Rücken.
    Wir traten ins Wohnzimmer. Stehend erwartete uns dort die übrige Jagdhausgesellschaft.
    »Alles in die Toilette!« kommandierte der Pole. Sie drängten uns ins Bad und schlossen es ab. Eine peinliche Enge herrschte in dem kleinen Raum, und ein ständiger Berührungskontakt mit den Frauen war nicht zu vermeiden. Frau B. saß auf dem Abortdeckel, rieb sich die Stirn mit Eau de Cologne ein oder hielt den Kopf in den Händen und stöhnte: »Ob wir hier noch einmal lebend herauskommen?«
    Wir andern standen zitternd um sie herum und fragten uns dasselbe. Überflüssigerweise rief noch der Wortführer der Polen durch die verschlossene Tür: »Wer rauskommt, wird erschossen!«
    Dann räumten sie das Haus aus. Überall rumorte und krachte es, Türen wurden geschlagen, Kisten und Koffer über Treppen und Flure geschleift.
    Zwischendurch kamen zwei Polen ins Bad und nahmen den Frauen Armbanduhren, Ringe und anderen Schmuck, den sie nicht vergraben hatten, ab. Auch meine schöne Armbanduhr, die mir Mimi zum Geburtstag geschenkt hatte, mußte

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