1077 - Die Voodoo-Frau
Der Hyde Park schlief eigentlich nie, doch an dieser Stelle war es dunkel. Hierher reichte auch nicht der Widerschein der Lichter. Eine Insel finster wie im tiefen Wald, und das hatte der Mörder sehr gut gewußt, denn er kannte sich aus.
Hinter dem breiten Busch legte der Killer die Leiche zu Boden. Dann säuberte er sein Messer im dichten Gras, vergewisserte sich, daß sein Opfer tatsächlich tot war, und nickte zufrieden. Ja, er würde nie mehr aufstehen. Der Killer kannte sich und seine Art, andere zu töten.
Der große, glatzköpfige, dunkelhäutige Mann blieb eine Weile neben dem Toten hocken. Nur die Augen bewegten sich in seinem breiten Gesicht, in dem besonders der Mund mit den wulstigen Lippen auffiel. Der Mann wollte auf Nummer Sicher gehen. Er suchte nach eventuellen Zeugen, denn oft genug schliefen die Penner im Park. Besonders wie jetzt im Sommer, wenn die Temperaturen auch bei Dunkelheit nicht zu stark sanken.
In seiner Umgebung war und blieb es ruhig. Er konnte zufrieden sein.
Der Mörder hieß Jobb. Mr. Jobb. Zumindest ließ er sich so nennen. Er war jemand, der nicht auf eigene Faust arbeitete. Einer wie er brauchte eine Führung, die ihm sagte, wo es langging. Hatte er einmal Vertrauen zu seinem Boß gefaßt, ging er für ihn auch in den Tod.
Aus der Taschenlampe fiel der dünne Lichtstrahl auf das Gesicht der Leiche. Der Mann war willkürlich ausgesucht worden. Es hätte auch einen anderen treffen können. Nur hatte er eben das Pech gehabt, gerade an dieser Stelle zu sitzen.
Die Nasenlöcher des Killers bewegten sich, als er schnüffelte. Er nahm nicht nur den Grasgeruch der Wiese auf, er roch auch das Blut, das nur tropfenweise aus der Rückenwunde gedrungen war.
Mr. Jobbs Sinne waren sehr sensibel. Schon in seiner Kindheit war er immer anders gewesen, als die übrigen in seinem Alter.
Er wurde nicht gestört. Geschickt durchsuchte er die Taschen des Toten. Da war nicht viel zu finden. Ein zerfledderter Ausweis fiel ihm in die Hände, den er wegwarf, weil ihn der Name des Toten einfach nicht interessierte. Waffen fand er auch nicht. Nur ein wenig Kleingeld und zwei schmutzige Taschentücher.
Mr. Jobb war zufrieden. Der Tod des Penners würde keinem auffallen. Menschen wie er waren schon im Leben vergessen, und darauf bauten Leute wie der Mörder.
Ein Problem gab es noch. Er mußte die Leiche wegschaffen, ohne daß man ihn sah. Aber auch darin hatte er Routine. Er kannte die Wege im Park, die selbst in der Nacht gemieden wurden. Zudem brauchte er nicht weit zu gehen. Wenn er sein erstes Ziel erreicht hatte, war die größte Hürde geschafft.
Mr. Jobb war stark. Es sah so leicht aus, wie er den Körper in die Höhe wuchtete, bevor er ihn lässig über seine linke Schulter warf.
Geduckt setzte er sich in Bewegung. Der Tote wippte auf seiner Schulter, während die Füße des Mannes durch das Gras schleiften. Der Himmel war nicht klar, deshalb kamen die Gestirne auch nicht durch. So gab der dünne Wolkenschleier auch ihm den nötigen Schutz, ebenso wie auch die Büsche und Bäume, in deren Nähe er sich hielt.
Mr. Jobb war ein Kraftpaket. Er bestand nur aus Muskeln, Sehnen und Fleisch. Um ihn von den Beinen zu holen, mußte man schon einen Vorschlaghammer einsetzen. Er hätte in jedem Film den absoluten Bösewicht abgegeben, und er war sich seines Aussehens durchaus bewußt. Menschen, die ihn unvorbereitet sahen, bekamen oft einen Schock.
Niemand sah ihn. Und auch er entdeckte keinen Menschen. Nach nicht einmal zwei Minuten des zügigen Laufs hatte er sein erstes Etappenziel erreicht.
Hinter einer Bank hatte er die kleine Karre versteckt. Ein Holzkasten, zwei gummibereifte Räder, eine Zugstange, das war alles. Die Karre vor so tief, daß er den Körper bequem hineindrücken konnte, auch wenn er ihn zusammenbiegen mußte. Die Decke hatte er zuvor herausgenommen. Jetzt breitete er sie über dem Toten aus.
Mr. Jobb grinste zufrieden. Er würde die Karre bis zu dem Parkplatz ziehen, wo er sein Auto geparkt hatte. Der Rest war dann nicht mehr als ein Kinderspiel.
Den Griff in der Hand haltend, richtete er sich auf. Er schaute sich noch einmal um, denn die Sicherheit ging ihm über alles. Auch jetzt hatte er Glück. Selbst weiter rechts, wo das schwache Licht der Laternen dem Boden entgegensickerte, war nichts zu sehen. Keine Fußgänger, nicht einmal Liebespaare, die hinter irgendwelchen Büschen lagen.
Diese Nacht war für ihn wie geschaffen. Und sie war erst der Anfang, das wußte er.
Weitere Kostenlose Bücher