Kali Darad - Königin der Arena (German Edition)
Dunkelheit. Doch sie ging unbeirrt weiter geradeaus.
Am Ende des Korridors gähnte ein Durchgang in einen großen Raum. Die Flügel der Eingangstür lagen einer hinter, und einer schräg auf einer quer vor dem Korridor liegenden Heldenstatue, bedeckt mit dem Staub vieler einsamer Sommer.
Kali Darad hatte das Gefühl, Glockenschläge für den eigentlich nur zwanzig Schritt langen Korridor gebraucht zu haben, als sie endlich über die einstmals mindestens drei Schritt hohe, in der Mitte gebrochene Statue hinweg in eine große Halle hinaustrat. Die so viele Sommer so quälend undurchdringliche schwarze Mauer in ihrem Kopf begann allmählich immer mehr Risse zu bekommen. Doch nach dem, was da von jenseits der Mauer zu ihr hindurch sickerte, begann sie sich allmählich vor dem, was noch im Verborgenen liegen mochte, zu fürchten.
Der Saal, den sie betrat, war früher wohl der Thronsaal gewesen. Eine einstmals große prunkvolle Halle, so hoch, dass zwei Harpyien übereinander Platz hatten, war heute nur noch ein trauriger Schatten alter Zeiten. Der Glanz und die Schönheit vergangener Sonnen, hinweggefegt in einem Sturm aus Gewalt und Zerstörungswut. Statuen von Drachen, Pferden und kämpfenden Männern lagen umgeworfen und zertrümmert am Boden. Wandbehänge, früher atemberaubend anzuschauen, waren nur noch verlassen im Staub liegende Haufen modrigen Stoffs. In den Ecken standen noch, wie einsame Wächter, die hohen Kohlepfannen, die dem Saal einst eine wohlige, behagliche Wärme gespendet hatten, und in der Mitte des Saales, fast um die Trostlosigkeit des Bildes noch zu unterstreichen, lag ein großer, vielarmiger Kronleuchter, der irgendwann von der Decke gestürzt und auf dem nun dick mit Staub bedecktem grauen Marmorboden zerschellt war. Auf der anderen Seite des Saales konnte sie ein mehrstufiges Podest ausmachen, auf dem zwei große, einstmals gewiss beeindruckende Throne standen, bevor brutale Hiebe sie kurz und klein geschlagen hatten.
Auch hier im Saal lagen Skelette ihrer Artgenossen auf dem Boden, doch wirkte ihre Zahl durch die Weitläufigkeit des Raumes deutlich überschaubarer, als in dem Korridor hinter ihr.
Kein Laut war zu hören. Nur das Tappen ihrer Füße und das Klicken ihrer Krallen hallte durch die ohrenbetäubende Stille, während sie sich langsam durch den Raum auf das Podest zu bewegte. Sie stieg über Knochen, Holz- und Steinsplitter hinweg und jedes Mal, wenn sie den Fuß wieder aufsetzte, stiegen kleine Staubwolken auf. Wenigstens hatten sie hier darauf verzichtet, ihre Opfer an die Wand zu schlagen – nicht, dass sie es nicht versucht hätten. An der langen, weiß vertäfelten Wand rechts von ihr konnte sie, neben einer Vielzahl rostbrauner Flecken und Spritzer, auch dunkle, nach unten ausgebrochene Löcher ausmachen, unter denen ein Skelett mit langen fingerdicken Nägeln zwischen Elle und Speiche lag. Das mochte wohl daran liegen, dass die üppig mit gebirgigen Landschaften verzierte Vertäfelung aus weiß getünchtem Holz den fast eine Elle langen Nägeln keinen besonders guten Halt geboten hatte. Dem zertrümmerten Schädel des bedauernswerten Wesens nach, waren die Herren dieses Martyriums über diesen Umstand alles andere als glücklich gewesen.
Mit trockener Kehle umrundete Kali Darad den zerstörten Kronleuchter und hielt weiter auf die beiden verwüsteten Throne zu. Zwischen dem Kronleuchter und dem Podest lagen die mit Staub bedeckten Gebeine eines weiteren Artgenossen. Er lag ausgestreckt auf dem Bauch und hatte eine Hand in Richtung des Podestes ausgestreckt... Sie stutzte. Wie konnte sie so sicher sein, dass es sich hierbei um die sterblichen Überreste einer männlichen Harpyie handelte? Des Einen und Einzigen?
Eigentlich wollte sie nur rasch an ihm vorbei, als ihr kurzes Zögern, dieser eine Herzschlag genaueren Hinsehens, sie in der Pose, in der der Tote seine ewige Ruhe hielt, etwas erkennen ließ. Sie erstarrte. Aus irgendeinem Grund zupfte die Art wie er da lag, an ihren Gedanken – und es war ein sehr schmerzliches Zupfen.
Glitzer! Der Tote hatte wohl bei seinem Sturz etwas unter sich begraben. Etwas, das erst jetzt, nachdem alles Vergängliche vergangen war, sichtbar wurde: Ein durch den Staub der vergangenen Sommer beharrlich glitzernder Anhänger an einer spröden, geflochtenen Lederkordel.
Zuerst zögerte sie. Was für ein Recht hatte sie, einen aus ihrem Volk - vor allem den Einen und Einzigen - bei seiner ewigen Ruhe zu stören, nur um seinen letzten
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