Mottentanz
Kapitel 1
Der Typ, der auf mich zugeht, sieht auf penetrante Art gut aus, als spiele er den attraktiven Mistkerl in einem Fernsehfilm darüber, warum betrunken Auto fahren schlecht ist oder es sich nicht lohnt, beim Eignungstest fürs College zu schummeln. Er trägt eine riesige Sonnenbrille und ein glänzendes schwarzes Kurzarmhemd, das mit den unnatürlich trainierten Muskeln gefüllt ist, die man nur bekommt, wenn man einen Großteil seiner Zeit damit verbringt, vor dem Spiegel Gewichte zu stemmen und sich dabei anzugrunzen.
»Hi«, sage ich. »Was darf’s sein?« Ich arbeite schon seit einem Jahr hier, aber ich finde es immer noch lustig, wenn ich mich diesen Satz sagen höre. Ich komme mir vor wie ein Kind, das spielt, es arbeite in einem Café. Nicht wie eine Sechzehnjährige, die tatsächlich dort arbeitet.
Der Typ starrt auf die Tafel hinter mir. »Kann iiiiiiiiich … einen zuckerfreien eisgekühlten Chai-Latte mit entrahmter Milch haben?«
»Chai-Latte kalt, zuckerfrei und entrahmt«, wiederhole ich. Dabei versuche ich, Brads Blick auszuweichen, der uns durch die Kuchenvitrine beobachtet, die er gerade putzt.
»Hey, Ellie«, ruft Brad in seinem betont »lässigen« Tonfall,
der ungefähr eine Oktave über seinem normalen liegt. »So ein Zufall, was? Gerade sprechen wir noch darüber, wie fantastisch diese zuckerfreien, eisgekühlten Chai-Lattes sind, und jetzt bestellt ein Kunde einen? Du hast gerade was Lustiges darüber gesagt, was war es noch? Über zuckerfreie, eisgekühlte Chai-Lattes?«
Ich spüre, wie mein Gesicht rot wird. Brad ist deshalb so komisch, weil er allen Leuten sagt, was er denkt; aber gerade würde ich ihm am liebsten einen Muffin ins Gesicht werfen, einen der geradezu beängstigend großen, die wir hier für fünf Dollar fünfundzwanzig verkaufen.
Ich drehe mich wieder zu dem Typen um und verziehe das Gesicht, als wollte ich sagen: »Wer ist dieser Irre und warum putzt er die Kuchenvitrine?« Aber der Typ schenkt uns ohnehin keinerlei Aufmerksamkeit, weil er viel zu sehr damit beschäftigt ist, sein Spiegelbild im Metall der Espressomaschine zu begutachten.
Ich mache sein Getränk und reiche es ihm. Er betrachtet seine Oberarmmuskeln, während er bezahlt, und dreht sich dann in Richtung Ausgang. Er ist schon fast bei der Tür, da dreht er sich in letzter Sekunde noch mal um und marschiert zurück zum Tresen. Er hält den durchsichtigen Plastikbecher vor sein Gesicht. »Schmeckt nicht wie entrahmte Milch.« Er schüttelt den Becher leicht und starrt abwechselnd ihn und mich an. »Du hast andere Milch benutzt, stimmt’s?«
Er hat seine Sonnenbrille abgenommen. Die Haut um seine Augenpartie ist zu braun gebrutzelt. Und merkwürdig faltig. Er starrt mich einen Moment lang intensiv an, als
hätte ich ihn bisher angelogen, müsste ihm aber nun – ohne Sonnenbrille – auf jeden Fall die Wahrheit sagen.
»Nö«, sage ich. »Das war definitiv entrahmte Milch.«
»Bist du dir da sicher?« Er hält meinen Blick eine Sekunde zu lang, hebt dann den Becher hoch und begutachtet den Boden, als habe sich dort all das böse Fett abgelagert.
»Ganz sicher«, nicke ich. »Ich kann dir aber gern noch mal eine machen, wenn du willst.«
Der Typ steht einfach nur da. »Nein«, sagt er. Und dann hebt er die Augenbrauen. »Aber ich denke, wir wissen beide, was du hier abziehen willst.« Er bleibt noch einen Moment lang stehen und starrt mich an. Dann dreht er sich endlich um und geht.
Ich warte zwei Sekunden, nachdem die Tür sich geschlossen hat, bis ich mich zu Brad umdrehe. Als sich unsere Blicke begegnen, beginnen wir beide laut zu lachen. »Gute Güte«, sagt Brad. Er steht auf und lässt die Putzmittelflasche und den Lappen sinken. »Als er zur Tür hereinkam, fand ich ihn noch ganz süß. Ich hätte wissen müssen, dass sich hinter solchen Sonnenbrillen der blanke Irrsinn verbirgt.« Brad schüttelt bedauernd den Kopf. »Solche Arme gibt es nicht umsonst.«
»Äh, wo wir schon von Irrsinn sprechen …«
»Jaja, aber ich wollte dir einen Gefallen tun! Wenn der Typ nur ansatzweise normal gewesen wäre, wäre mein Irrsinn der perfekte Einstieg in ein Gespräch gewesen.«
Brad stellt die Flasche und den Lappen unter den Tresen und schaut auf seine grellbunte Uhr. »Okay, Süße, du hast gleich aus, also fülle ich noch kurz das Lager auf, bevor du gehst. Falls jemand reinkommt, den ich für deinen Idealpartner
halten würde, sag ihm, ich hätte gesagt, er soll dir seine Nummer
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