Kalte Spur
zufriedenzustellen. Dabei nutzte er seine Erfahrung als Chirurg und das entsprechende Handwerkszeug. Sein treuer Anhänger auf dieser Mission war Sani Bob, der ebenfalls unter psychischen Problemen litt.
Mit seiner neuen Identität und unter dem Deckmantel der fiktiven Ikonoklastischen Gesellschaft war Eric Logue in die westlichen Rocky Mountains zurückgekehrt, erst nach Nordmontana,
dann nach Wyoming. Schließlich hatte er Grund genug, dort zu sein, wo die Verstümmelungen entdeckt wurden. Er behauptete, sie zu untersuchen.
Von Erics Standpunkt aus betrachtet, waren die Verstümmelungen in Montana perfekt gelaufen. Niemand verdächtigte ihn. Nicht gut war allerdings, dass die leitenden Ermittler ihn als Spinner betrachteten. Sie nahmen seine Theorien nicht ernst und legten keinen Wert auf sein Wissen und seine Ratschläge. Es gab zwar einige Bekehrte, vor allem Deena, doch insgesamt war er enttäuscht.
Er erkannte, dass es nicht reichte, Rinder und Wild zu töten und zu verstümmeln. Doch um diese Untaten zu toppen, brauchte er Hilfe. Also bat er Sani Bob, sich mit ihm in Saddlestring zu treffen. Niemand aus seiner Jugendzeit hatte ihn dort erkannt.
Eric und Sani Bob begannen wie in Montana mit Tieren. Dann trennten die beiden sich eines Nachts, um Stuart Tanner und Tuff Montegue annähernd gleichzeitig zu töten. Eric übernahm Tanner, Sani Bob knöpfte sich Tuff vor. Das erklärte, warum Tanners Tod so sehr den Rinderverstümmelungen ähnelte.
Sani Bob, der mit dem Skalpell nicht so vollendet umzugehen verstand, hatte sich demgegenüber recht kunstlos an Tuff zu schaffen gemacht.
Nate vermutete, dass Eric bei Tanners Leiche geblieben war und seine Gegenwart Aasfresser davon abgehalten hatte, sich an ihr gütlich zu tun. Sani Bob dagegen überließ Tuffs Leiche dem Bären und fuhr los, um Eric abzuholen. Als sie wieder vereint waren, meldete er von seinem Handy dann die Leiche von Stuart Tanner.
Von da an allerdings zerfiel das Szenario, wie Joe fand. Es gab noch immer keine Erklärung dafür, warum Eric »nach
Hause« zurückgekehrt war. Auch war unklar, ob er schon früh Kontakt zu Cam gehabt hatte. Falls nicht, warum hatten die Morde Cams Absichten, die Timberline Ranch zu erwerben, dann so offenkundig begünstigt? Joe konnte sich einfach nicht damit zufrieden geben, dass es sich dabei um einen bloßen Zufall gehandelt hatte.
Sie müssen in Verbindung gestanden haben, dachte er: Entweder hat Cam seinen Bruder gebeten, Stuart Tanner unter dem Deckmantel der Rinderverstümmelungen umzubringen, oder Eric hat es auf sich genommen, seinem Bruder zu helfen. So oder so, sie müssen miteinander kommuniziert haben. Warum hätte Eric sonst ausgerechnet Tanner ins Visier nehmen sollen?
Noch immer hatte Joe keine logische Erklärung für Methode und Folgen der Verstümmelungen. Wie war es Eric gelungen, keine Spuren oder Indizien zu hinterlassen? Wie hatte er dafür gesorgt, dass Aasfresser einen Bogen um die Kadaver machten?
Wie erklärte sich der seltsame Druck in der Luft, den Joe bei der Entdeckung des toten Elchs so lastend gespürt hatte?
Was hatte Maxine so verängstigt, dass er nun stolzer Besitzer des weltweit einzigen komplett weißhaarigen Labradors war?
Der letzte Teil des Szenarios war ebenso problematisch: Was hatte Eric und Sani Bob bewogen, Cam zu entführen? Warum hatten sie Nicht-Ike mitgenommen?
Und warum hatten Eric und Sani Bob Cam getötet und verstümmelt?
Und die wichtigste Frage von allen: Wo war Eric Logue?
Joe war noch immer abgelenkt, als er mit Marybeth den Abendbrottisch abräumte. Er hatte die Unterhaltung beim Essen kaum mitbekommen, bei der Lucy, Jessica und Sheridan über ihren Tag an der Schule berichtet hatten.
Als er Wasser in die Spüle laufen ließ, sagte Marybeth: »Du denkst doch wieder an Eric Logue?«
Er sah sie an.
»Wir werden es vielleicht nie erfahren, Joe. Wir haben das zu Tode besprochen.«
»Ich dachte, nichts ließe sich zu Tode besprechen«, erwiderte er spöttelnd.
»Sehr witzig.«
Er spülte, und sie trocknete ab.
Lucy und Jessica lachten im Nebenzimmer über etwas im Fernsehen.
Joe sah sich nach den beiden um. Sie hatten gern das Gleiche an, was Sheridan ziemlich albern fand. Heute Abend trugen sie grüne, übergroße Chirurgenkittel.
»Warum tragen sie die?«, fragte Marybeth plötzlich beunruhigt, denn sie wusste, wem die Kittel gehört hatten.
Barsch erklärte sie: »Zieht euch sofort um. Hatte ich euch nicht gebeten, die Dinger
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