Kalte Stille - Kalte Stille
Junggeselle war, schrieb man seiner als bösartig verschrienen Mutter zu. Laszinski hatte sie über viele Jahre aufopfernd gepflegt, und als sie vor drei Jahren ihrem Darmkrebsleiden erlegen war, gab es viele, die von einer Erlösung für den armen Peter gesprochen hatten.
Als im Januar letzten Jahres zwei kleine Mädchen aus Laszinskis Heimatort verschwunden waren, kam niemand auch nur im Entferntesten auf den Gedanken, er könnte etwas damit zu tun haben. Erst bei einem erfolgreichen Schlag gegen einen Kinderpornoring im Internet war das Bundeskriminalamt auf Laszinski aufmerksam geworden. Zwölf Tage nach dem Verschwinden der
Mädchen stellte man Laszinskis Computer sicher, auf dem sich Tausende von Fotografien und Videos befanden. In einem Interview äußerte ein Pressesprecher der Behörde, die Aufnahmen dokumentierten sadistische Praktiken von unvorstellbarer Grausamkeit.
Bei einer weiteren Durchsuchung des alten Bauernhofs der Laszinskis fand man auch die beiden Mädchen im großräumigen Keller. Das eine Kind war in der Gefangenschaft gestorben, das andere hatte überlebt, schwebte aber noch lange Zeit in Lebensgefahr. Wie sich herausstellte, hatte Laszinski die Entführung von langer Hand geplant. Er hatte eigens hierfür zwei Zellen in das Gewölbe gemauert, in die er die Mädchen getrennt voneinander eingesperrt hatte.
Nach der ersten Sitzung, in der ihm Laszinski mit ungerührter Miene erzählte, was in diesem Keller vor sich gegangen war, hatte Jan ernsthaft überlegt, ob er dem Fall gewachsen war. Rückblickend wusste er, dass dies der richtige Moment gewesen wäre, den Fall abzugeben.
Was ihn dennoch veranlasst hatte, weiter mit diesem Mann zu arbeiten, war die Art des Verbrechens gewesen. Laszinski fiel nicht in das Schema der Pädophilen, mit denen Jan bis dahin zu tun gehabt hatte. Sein Handeln war nicht triebgesteuert oder spontan gewesen. Und ein inneres Gefühl sagte Jan, dass Svens vermutlicher Mörder vielleicht ähnlich gehandelt hatte.
Die Bilder, die Laszinskis Schilderungen in ihm hervorriefen, gingen Jan noch lange nach. Der Küster hatte die Mädchen nicht vergewaltigt. Abgesehen von der Entführung selbst, hatte er sie nie angerührt. Stattdessen zwang er beide, allabendlich nackt und frierend auf dem sandigen Kellerboden zu knien und das Ave Maria zu beten. Nur dann erhielten sie die - wie er es nannte -
»Kommunion«: ein Glas Milch, in das er zuvor ejakuliert hatte. Anfangs hatten sie sich geweigert, aber nach ein paar Tagen hätten die Mädchen vor Hunger und Durst alles getan, hatte Laszinski behauptet, und die Gefühlskälte seiner Worte hatte Jan das Blut in den Adern gefrieren lassen.
Dennoch hatte sich Jan zu einer weiteren Sitzung mit ihm getroffen, um sein Gutachten abzuschließen. Und dabei war es zu jenem verhängnisvollen Vorfall gekommen.
Jan selbst konnte sich kaum noch an seine Raserei erinnern. Erst als ihn zwei Vollzugsbeamte gepackt und aus dem Raum gezerrt hatten, war er wieder Herr seiner Sinne gewesen.
Jan sah Laszinski, der sich heulend in einer Blutlache am Boden wand, und stellte fest, dass er selbst ebenfalls voller Blut war. Später hatte Jan erfahren, dass er unvermittelt auf den Küster losgegangen war und wie von Sinnen auf ihn eingeschlagen hatte.
Nun hoffte Jan inständig, dass Fleischer ihn nicht nach dem Grund für diesen Kontrollverlust fragen würde. Auf diese Frage hatte er keine Antwort parat.
Fleischer fragte nicht. Stattdessen nickte er Jan nur wieder aufmunternd zu.
»Nach diesem Vorfall wechselte ich meinen Wohnort«, fuhr Jan fort. »Ein Bekannter, mit dem ich seit dem Studium in Kontakt stand, bot mir an, für einige Zeit bei ihm zu wohnen. Also habe ich die letzten Monate im Allgäu verbracht. Der Abstand zu allem hat mir gutgetan. Ich fühle mich wieder stabil und möchte jetzt einen beruflichen Neuanfang unternehmen.«
Fleischer lächelte, und seine Stimme nahm einen väterlichen Ton an.
»Ich weiß nicht, wie ich mich in Ihrem Fall verhalten hätte, Jan. Nicht dass ich Ihre Handlungsweise gutheißen möchte, aber ich kann mir keinen Kollegen vorstellen, den dieser Fall kaltgelassen hätte. Berücksichtigt man noch Ihre private Belastung, empfinde ich die Haltung mancher Kollegen Ihnen gegenüber als ziemlich übertrieben. Deshalb habe ich Sie auch eingeladen. Ich finde, ein ehrgeiziger junger Arzt wie Sie hat eine zweite Chance verdient. Und damit wir uns richtig verstehen: Diese Haltung hat nichts damit zu tun, dass Ihr
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