Kalter Schmerz
helfen. Das hast du gesagt !«
»Hör zu, geh einfach …«
»Wofür du bezahlt wirst, richtig?« Sie verpasste mir eine Ohrfeige, und ich wäre fast über die unterste Treppenstufe gestolpert. »Tu das, wofür du bezahlt wirst! Wenn du das nicht tust, dann werde ich …«
»Hör auf!«
»… dann werde ich …«
»Du bist …«
Sie ging mit den Fingernägeln auf mich los. Mit einem Schlag gegen den Kiefer hielt ich sie davon ab, mir das Gesicht zu zerkratzen. Es war nicht viel Wucht dahinter, aber es reichte, um sie innehalten zu lassen. Ihre Unterlippe begann leicht zu bluten, sie tupfte das Blut mit den Fingern weg.
Ich bedauerte es sofort, aber zumindest war die Aggression aus ihr gewichen.
»War es das, was du wolltest?«, sagte ich achselzuckend. »Ist das alles, wofür du mich brauchst? Tja, so toll ist es nicht, oder?«
Sie sah mich an wie einen Fremden. Die Bestürzung in ihrem Gesicht bestätigte mir, was Mark gemeint hatte: Ihren Willen nicht zu bekommen war ihr fremd. Zum ersten Mal war etwas nicht so gelaufen, wie sie wollte.
Der Schock wurde zu Scham, und sie wandte sich von mir ab, wischte sich noch mal das Blut von der Lippe und setzte sich ins Wohnzimmer. Als ich ihr nachging, zog sie die Beine aufs Sofa, und ich setzte mich ihr gegenüber, genau dieselben Posen, die wir an unserem ersten Abend eingenommen hatten.
»Tut mir leid«, sagte ich.
»Nein … Ich hab ja darum gebettelt.« Sie versuchte zu lächeln. »Soll ich dir ein Geheimnis verraten? Etwas, was ich dir schon mal sagen wollte?«
»Was denn?«
»Als Emma starb … Einer meiner ersten Gedanken, an die ich mich erinnere, als ich wieder denken konnte …« Sie versteckte ihr Gesicht fast vollständig hinter den Händen. »Ich dachte eine Sekunde lang, dass ich noch mal von vorne anfangen könnte. Ich meine … noch mal so sein wie früher. Eine Sekunde lang war ich froh .«
Während ich überlegte, was ich dazu sagen sollte, kamen ihr wieder die Tränen, und sie rieb sich die Augen.
»Das hat nur eine Sekunde gedauert.«
»Das ist bestimmt … ganz normal.«
Ich wusste nicht, ob es normal war oder ob ich log. Sie setzte neue Standards für das, was normal war. Bei allem, was sie sagte, verspürte ich Mitleid und Enttäuschung, weil ich nichts für sie tun konnte.
»Nein, du verstehst das nicht!« Bebend stand sie auf. »Ich habe mich verloren! Ich habe mich verloren ! Ich hatte ein Leben, mein Leben, und jetzt weiß ich nicht … Ich dachte, ich könnte es zurückhaben.«
Ich blieb sitzen, wünschte mir, es gebe etwas, das ich sagen könnte, um sie zufriedenzustellen. Ich fragte mich, wie Pat es so lange ausgehalten hatte, der Vermittler zwischen ihr und der Wirklichkeit zu sein – und von ihr dafür so gehasst zu werden.
»Glaub mir, ich bin Experte, wenn es darum geht, wie man alles versaut, und du hast nichts versaut. Ich meine, was hättest du anders machen wollen?«
»Ich weiß es ja nicht mal.« Sie streckte die Hände aus, lachte beinahe. »Jemand … Besseres sein?«
Niedergeschlagen stellte sie die Musik aus und setzte sich wieder.
»Also, was willst du? Ehrlich, Clare, was soll man verdammt noch mal tun? Wenn du einfach sagen würdest, was du willst, dann …«
»Ich hab’s dir doch gesagt. Ich …«
Die Haustür ging auf. In der Zeit, die Pat brauchte, um sie zu schließen, wischte sich Clare die Augen trocken und prüfte, ob ihre Lippe aufgehört hatte zu bluten.
Von der Türschwelle aus schaute Pat mich eindringlich an, dann wandte er sich an Clare. »Hey, ich will nur ein paar Sachen holen, wenn das in Ordnung ist?«
Sie nickte, sah ihm kaum in die Augen.
»Ich war nur …« Ich kontrollierte meine Gesten, versuchte,so locker wie möglich zu wirken. »Ich habe Clare gerade erzählt, was du schon weißt.«
Er wandte den Blick nicht von seiner Frau ab. »Ist alles in Ordnung?«
Es dauerte einen Moment, bis ihr einfiel, dass unser letztes Treffen nicht stattgefunden haben durfte, sie also von der Schwangerschaft bisher nichts gewusst hatte, doch sie fing es gut auf.
»Das ist ein ganz schöner Schock.« Clare schüttelte den Kopf. »So langsam glaube ich, dass wir sie überhaupt nicht gekannt haben, oder?«
Gott sei Dank, dachte ich und stützte den Kopf in die Hände.
»Ist es in Ordnung, wenn du einen Scheck bekommst?«, fragte Pat mich und gab mir ein Zeichen, dass er in die Küche gehen wollte. »Ich kann dir einen ausstellen.«
Bargeld wäre mir lieber gewesen, aber ich wollte ihm nicht
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