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Kalter Schmerz

Kalter Schmerz

Titel: Kalter Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Jameson
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Clare wollte, dass Em mehr so war wie sie, und … Na ja, wenn man in dem Alter ist, will man genau das Gegenteil von dem sein, was die Eltern sind. So viel habe ich schon verstanden.« Er nickte mir zu. »Em hat das wahrscheinlich nicht von mir geglaubt, aber ich hab’s verstanden.«
    Wir schauten beide aus dem Fenster. Man blickte auf nichts anderes als auf die Wand des Nachbarhauses. Alles wirkte so still.
    Ich rauchte meine Zigarette zu Ende, innerlich wie taub, dachte an Matt.
    Pat stand auf.
    »Schon fertig?«, fragte ich.
    Er holte seine Pistole heraus und schoss Kyle in den Kopf.
    Zum unterdrückten Pfeifen des Schalldämpfers zuckte Kyle auf dem Boden zusammen.
    Ich sah ihn an und schluckte. Sein Gesicht war fast nicht mehr als das eines Menschen zu erkennen. Ich fühlte nichts, war mir aber nicht sicher, ob ich dasselbe getan hätte.
    Es war wahrscheinlich besser so, als ihn mit all den Verletzungen am Leben zu lassen. Wenn ich ihn nun betrachtete, seine abgemagerte Gestalt, kam es mir vor, als hätten die Erinnerungen körperlich an ihm genagt, wie Parasiten.
    »Ich bin fertig«, sagte Pat, wischte sich die Nase ab und steckte die Waffe zurück in seine Jacke. »Ich hätte jetzt gerne einen Scotch. Du nicht?«
    Von unten hörte ich ein Geräusch, als würde die Haustür ganz schnell aufgerissen.
    Pat reagierte nicht sofort, aber ich stürzte bereits die Treppe hinunter und schoss durch die Tür auf die Straße. Ich konnte ihn von hinten sehen, er bog um die Ecke in eine Gasse hinter den Gärten.
    Er musste unten gelauert haben, hatte sich versteckt und auf den geeigneten Moment gewartet, um sich wegzuschleichen. Er hätte bleiben sollen, wo er war …
    Jede Muskelfaser in mir war angespannt, ich konzentrierte mich auf sein Kapuzenshirt. In meinem Kopf drängten sich Bilder, was wir mit ihm tun würden, wenn ich ihn schnappte, wenn ich ihn zurückbrachte …
    Wir hetzten immer weiter, jetzt mindestens zwei Straßen vom Haus entfernt.
    Matt drehte sich um, einmal. Er rannte mit all seiner Kraft, um dem Tod zu entrinnen, der ihn unbarmherzig verfolgte.
    Es bringt sie nicht zurück.
    Ich schüttelte mir den Gedanken aus dem Kopf und spürte den Regen auf dem Gesicht.
    Wir näherten uns einem Schulgelände, das mit einem Zaun von der Straße abgetrennt war.
    Matt sprang aus vollem Lauf gegen den Maschendrahtzaun und kletterte drüber. Als ich den Zaun erreichte, lief er über den Schulhof davon, und ich war langsamer geworden. Ich wusste, dass ich hätte drüberklettern können, ich wusste, dass ich ihn hätte einholen können, aber ich war langsamer geworden, und dann blieb ich stehen.
    Durch den Maschendraht sah ich, wie er das andere Ende des Schulhofs erreichte, über den nächsten Zaun kletterte und verschwand.
    Ich hätte ihn nicht einholen können, er hatte zu viel Vorsprung.
    Es bringt sie nicht zurück.
    Warum war ich nicht einfach über den verfickten Zaun geklettert? Weil ich nicht gewollt hatte? Weil ich ihn eh nicht gekriegt hätte? Wen traf letztendlich der verheerende Verlust von Leben, wenn weder Pat noch Clare ihn wirklich wollten? Niemanden außer mir.
    Welchen Unterschied machte schon ein weiterer zerschundener Körper auf dem Boden des Schlafzimmers?
    Lange Zeit wartete ich zitternd vor dem Zaun, als ob ich doch noch hinüberklettern würde.

34
    Pat wollte zurück zu seiner Wohnung, um ein paar Sachen zu holen, und ich fuhr wie in Trance eine Weile durch London, unentschlossen, ob ich nach Hause oder etwas trinken gehen sollte – mit Ronnie oder Noel abhängen, mit irgendjemandem, mit dem ich Scheiße labern konnte.
    Jedes Erfolgsgefühl ging mir ab. Besonders verlogen kam ich mir vor, als ich Pat sagte, Matt sei mir entwischt.
    Mein Handy klingelte und ich fuhr an den Straßenrand, schnitt dabei einen Motorradfahrer, der mir im Vorbeifahren den Finger zeigte. Ich hätte den Anruf ignoriert, wenn es nicht Clare gewesen wäre.
    »Wichser«, murmelte ich und ging dran.
    Bevor sie etwas sagte, hörte ich, dass sie weinte. Ich fuhr mir mit der Hand übers Gesicht und überprüfte im Rückspiegel, ob noch irgendwo Kyles Blut zu sehen war. Ich hatte mich umgezogen, und wir hatten oberflächlich die Flecken abgewaschen, doch mit ihr zu reden machte mich paranoid.
    »Clare?«
    Schweigen.
    »Clare, los, sag was!«
    »Kommst du vorbei?«
    Es war seltsam, dass sie den Satz als Frage formulierte, als wüsste sie nicht, dass ich auf der Stelle alles stehen und liegen lassen und das tun würde, was sie

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