Kalter Zwilling
Parkplätze direkt vor dem Haus. Deshalb hatte Emily ihren Wagen auf dem großen Parkplatz am Rheinturm abgestellt, der eigentlich für die vielen Besucher gedacht war, die jedes Wochenende das kleine Zons bevölkerten und die gerne durch dieses wunderbar erhaltene mittelalterliche Städtchen spazierten. Von diesem Parkplatz aus gelangte man direkt durch eine kleine Unterführung zum Hauseingang von Annas Appartement, welches sich im Obergeschoss befand. Anna arbeitete bei einer kleinen Düsseldorfer Bank und war mit Leib und Seele Bankerin. Ihre beste Freundin so am Boden zerstört zu sehen, schmerzte sie.
»Emily, er hat dir doch versprochen, dich jedes Wochenende zu besuchen. Er hat doch gar nicht vor, dich zu verlassen. Er liebt dich, da bin ich mir ganz sicher.« Anna hatte nicht den geringsten Zweifel daran. Sie kannte den Blick nur zu gut, mit dem Oliver Bergmann Emily jedes Mal ansah, wenn sie in seiner Nähe war. Er war eindeutig verrückt nach ihr. Wie sehr wünschte sich Anna, dass ein Mann sie so ansehen würde. Sie hatte sich in den letzten Monaten derart intensiv in ihre Arbeit vergraben, dass sie Männer nur noch als Arbeitskollegen wahrnahm. Außerdem war ihr Herz immer noch von Bastian Mühlenberg gefangen. Anna seufzte. Bastian hatte sie auch mit diesem Blick angesehen. Seine tiefbraunen Augen hatten sie fast verschlungen und das Funkeln in ihnen hatte ihr Herz laut klopfen lassen. Sie schüttelte den Kopf. Emily hatte ihr eingeredet, dass Bastian Mühlenberg nicht real sein konnte. Er lebte vor über fünfhundert Jahren in Zons und war Soldat in der Stadtwache. Aber Anna war sich sicher, ihn getroffen zu haben. Sie erinnerte sich genau an sein Lächeln, seine blonden Strubbelhaare und die hohen Wangenknochen. Er hatte sie vor dem Puzzlemörder gerettet und er war es, der Kommissar Oliver Bergmann sicher durch das Labyrinth von Zons geleitet hatte. Sie hatte ihn mit eigenen Augen gesehen! Hinzu kam, dass sie auch heute noch oft von ihm träumte. Erst letzte Nacht hatte sie ihn am Krötschenturm gesehen, wo er mit einer hässlichen alten Frau einen Tierkadaver untersuchte. Verstört fuhr sich Anna mit ihrer Hand durch die langen Locken. Wahrscheinlich war sie kurz davor, verrückt zu werden. Sie bekam diesen Mann einfach nicht aus ihrem Kopf.
»Glaubst du das wirklich?« Emily riss Anna aus ihren Gedanken.
»Was?«
»Na, dass er mich liebt.«
»Ach so, natürlich. Ich bin mir hundertprozentig sicher.«
»Aber warum hat er mich angelogen?« Emilys Handy begann zu vibrieren.
»Willst du nicht endlich einmal rangehen? Der arme Kerl versucht jetzt zum hundertsten Mal, dich zu erreichen. Willst du ihn wirklich so leiden lassen?«
»Er hat mich angelogen!« Emilys Stimme war die eines trotzigen Kindes.
Anna schüttelte lächelnd den Kopf. Typisch Emily, dachte sie, ihr italienisches Temperament schlug wieder einmal zu. Kommissar Oliver Bergmann würde noch mächtig Überzeugungsarbeit leisten müssen, wenn sie ihm verzeihen sollte.
»Hör zu, Emily. Ablenkung ist die beste Medizin bei Liebeskummer. Ich schlage vor, wir fahren zu Professor Morgenstern und beenden die Recherche für deinen neuen Artikel. Außerdem kann ich parallel meiner Mutter einen Besuch abstatten. Sie wird sich sicher freuen, wenn sie mir ihren neuen Arbeitsplatz zeigen kann.«
Emily sah Anna aus verweinten Augen an. Sicher hatte sie recht. Ablenkung war eine gute Methode, um die Gedanken an Oliver zumindest für ein paar Stunden aus ihrem Kopf zu verbannen. Warum hatte er sie angelogen? Sie hatte ihm aus tiefstem Herzen vertraut. Warum benahmen Männer sich nur ständig daneben? Es schien ihr fast so, als wären sie nur dazu da, einem das Leben schwer zu machen. Sie betrachtete Anna. Ihr ging es letztendlich besser. Ihr konnte niemand weh tun. Vielleicht sollte sie sich wirklich trennen und das Leben als glückliche Single-Frau verbringen. Doch ein Blick in Annas grüne Augen ließ Emily plötzlich zweifeln. Nein, Anna war nicht glücklich. Die Sehnsucht war ihr nur allzu deutlich anzusehen. Trotzdem, sie würde Oliver noch zappeln lassen. Er sollte merken, dass er mit ihr nicht so umgehen durfte. Trotzig schob sie ihre Unterlippe vor, kniff die braunen Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und folgte Anna, die bereits ungeduldig mit dem Haustürschlüssel klapperte, aus der Wohnung.
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VII.
Vor fünfhundert Jahren
Bastian Mühlenberg träumte erneut von dieser wunderschönen Frau. Er konnte sie durch ein
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