Kalter Zwilling
die Klimaanlage vor einiger Zeit erneuert worden war, konnte er sich frei im Haus bewegen. Niemand bemerkte sein Verschwinden und er verschaffte sich so ein nahezu perfektes Alibi.
Die Münze hatte entschieden. Ihm war es egal, wer zuerst starb. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er gehofft, seinesgleichen anzutreffen. Aber er war bitter enttäuscht worden. Nicht nur, dass sein Opfer schon vor Beginn der ersten Fingeramputation in Ohnmacht gefallen war, es hatte nicht einmal gekämpft, nur bis zum Schluss jämmerlich um sein Leben gebettelt. Es war kein Widerstand, kein Aufbäumen zu spüren. Er fühlte sich wie ein Jäger, der um die Jagd betrogen worden war. Da war die kleine Nutte viel aufregender gewesen. Sie war zu stolz gewesen, um zu flehen, zumindest bis zum dritten Finger. Danach hatte sie begriffen, dass es kein Zurück mehr gab. Als das Licht in ihren Augen erlosch, hatte er ihre Lippen geküsst. Er konnte spüren, wie er ihren letzten Atemzug in sich aufsog. Sein Höhepunkt war grandios. Er seufzte. Die Kleine war richtig gut. Er hätte sie gerne ein weiteres Mal getötet.
Vielleicht hatte er bei seinem nächsten Opfer wieder mehr Glück. Nachdem er alle Spuren verwischt und die Gitter der Klimaanlage wieder verschraubt hatte, kehrte er in sein bescheidenes Reich zurück. Aus der Tasche an seinem Oberschenkel holte er seine Werkzeuge hervor. Er reinigte sie immer direkt. Das Blut würde sonst seine Kleidung ruinieren und außerdem mochte er den Geruch nicht. Er zog sein Lieblingsskalpell hervor und hielt es hoch. Der kalte Edelstahl blitzte im matten Licht seines Zimmers auf. Dieses glänzende kleine Messer verschaffte ihm Macht. Er kontrollierte den Schmerz, während er ihre Haut präparierte und den Blutfluss, wenn er in ihr Muskelfleisch schnitt. Er entschied, wann er den letzten Stoß mit seinem Skalpell führte und ihr Leben beendete. Doch heute hatte alles einen bitteren Nachgeschmack. Unbefriedigt betrachtete er das Foto des Professors. In seinen Gesichtszügen konnte er eine gewisse Hartnäckigkeit erkennen. Hoffentlich würde er mit ihm mehr Glück erleben.
Leise räumte er seine Instrumente weg und legte sich auf sein Bett. Erschöpft und enttäuscht schlief er auf der Stelle ein.
...
Petra Ludwig schwitzte. Eigentlich zählte sie sich zu den sogenannten »Vata-Typen«. Sie war ein Kind der Luft mit immer trockener Haut. Zumindest hatte ihr indischer Ayurveda-Coach sie in diese Kategorie einsortiert. Petra Ludwig litt unter dem Reizdarmsyndrom und die klassische Medizin hatte sie in den letzten Jahren keinen Schritt vorwärts gebracht. Sobald sie unter Stress geriet, meldete sich ihr Bauch zu Wort und quälte sie mit Blähungen und Krämpfen. Irgendwann war sie auf der Suche nach einer Lösung über die traditionelle indische Heilkunst Ayurveda gestolpert und hatte festgestellt, dass die Angebote in Deutschland geradezu explodierten. In diversen Internetforen war sie auf Erfahrungsberichte begeisterter Leidensgenossen gestoßen, die mittlerweile völlig geheilt waren.
Hoffnungsvoll hatte sie vor ihrem Coach, einem kleinen dicken Inder mit einem roten Flecken zwischen den Augenbrauen, ihren Leidensweg ausgebreitet. Der hatte daraufhin ihr Dosha bestimmt. In der Ayurveda-Lehre gab es drei Doshas, die sogenannten Lebensenergien. Wenn diese nicht im Gleichgewicht waren und bei Petra sah es wirklich schlimm aus, musste gegengesteuert werden. Ihr Vata war erhöht, weswegen der Coach alle scharfen, bitteren oder auch kalten Gerichte von ihrem Speiseplan gestrichen hatte. Eigentlich liebte sie alle Arten von Salat, garniert mit deftig mariniertem Hähnchenfleisch. Stattdessen gab es jetzt nur noch gedünstetes Gemüse und leicht verdauliche Kost. Gegrilltes Fleisch gehörte der Vergangenheit an. Ihre trockene Haut behandelte Petra nun regelmäßig mit Sesamöl. Das war nicht besonders sexy und genau in diesem Moment, als sie mit Gummihandschuhen an den Händen eine männliche Leiche untersuchte, machten sich alle Nachteile der neuen Therapie auf einmal bemerkbar. Sie schwitzte erbärmlich. Nicht nur unter den Handschuhen, sondern am ganzen Körper.
Es war ihr erster großer Mordfall und dementsprechend aufgeregt war sie auch. Auf keinen Fall wollte sie etwas übersehen, doch der Anblick der verstümmelten Leiche machte es ihr schwer, sich zu konzentrieren. Ihr Bauch meldete sich mit leichten Krämpfen und sie wünschte sich, Oliver Bergmann würde nicht in Frankfurt an der
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