Kalter Zwilling
seinem Gesicht kam Emily viel tiefer vor, als bei ihrem letzten Besuch. Aber das lag vielleicht nur an der fahlen Blässe, die heute seine Haut überzog.
»Das mit Ihrem Freund tut mir sehr leid«, erwiderte sie und stellte ihm dabei gleichzeitig Anna vor.
»Es ist eine schreckliche Geschichte.« Professor Morgenstern ließ sich kraftlos in seinen Bürostuhl fallen. »Ich habe mit ihm zusammen an der Universität zu Köln studiert. Während er sich auf Reproduktionsbiologie spezialisierte, habe ich mich in meiner Facharztausbildung auf die Psychiatrie gestürzt.« Er schüttelte traurig den Kopf. »Ich kann mir wirklich nicht erklären, wie es dazu kommen konnte.«
Anna und Emily sahen sich erstaunt an. Was meinte Professor Morgenstern damit?
»Er wurde ermordet.« Seine Worte hallten wie ein dröhnendes Echo in Emilys Kopf wider. »Aber damit will ich Sie nicht weiter schrecken, meine Damen.« Er lächelte verkrampft.
»Wo waren wir beim letzten Mal stehengeblieben?« Professor Morgenstern blätterte in den Akten auf seinem Schreibtisch. Als sein Blick auf das Foto von Adrian Helmhold fiel, drehte er das Bild um. Erstaunt betrachtete Anna den jungen Mann, der sie vom Foto anstarrte. Er kam ihr seltsam bekannt vor.
»Adrian Helmhold befindet sich seit 19 Jahren in unserer Klinik. Er gehört zu den impulsiven Psychopathen. Er kann also sehr gefährlich werden.«
Annas Mundwinkel zuckten.
»Ich weiß, er sieht wirklich harmlos aus.» Professor Morgenstern musterte Anna aufmerksam. »Aber Sie müssen sich keine Sorgen machen. Wir haben ihn in der roten Etage untergebracht. Dort ist er sicher aufgehoben und kann niemanden etwas zu Leide tun.« Wenn man aufpasst, fügte er in Gedanken hinzu. Aber er wollte die Tochter seiner neuen Mitarbeiterin nicht verschrecken, indem er ihr von dem Vorfall vor ein paar Tagen erzählte.
»Dürfen wir die rote Etage besuchen und vielleicht ein paar Fotos machen?«, fragte Emily aufgeregt. Sie brannte darauf, endlich einen Blick in die besonders gesicherte Etage der Psychiatrie zu werfen.
Durfte er einer einfachen Reporterin Zugang zur geschlossenen Station gewähren? Professor Morgenstern überlegte einige Augenblicke. Er hatte sich von allen Patienten Einwilligungserklärungen für die Akteneinsicht unterschreiben lassen. Er forschte auf diesem Gebiet und benötigte diese Erlaubnis, um seine Ergebnisse auch veröffentlichen zu dürfen. Die Reportage über seine Patienten würde demnach kein Problem darstellen, sofern er Emily Richter nicht in Gefahr brachte.
Schließlich antwortete er mit einem Blick auf seine Uhr: »Sie dürfen die Station nicht direkt betreten, aber ich erlaube Ihnen, die Patienten durch verspiegeltes Sicherheitsglas zu beobachten. Frau Winterfeld kann Sie hinaufführen. Das Fotografieren ist leider streng verboten und ...«, er setzte plötzlich einen listigen Blick auf. »Seien Sie vorsichtig!«
...
Hans Steuermark tigerte in seinem Büro auf und ab. Dies tat er immer, wenn er sich in aussichtslosen Situationen befand. Zwei brutale Morde, zwei seiner besten Ermittler nicht mehr an Bord seines Teams, stattdessen eine Frau, die sich nicht zutraute, diese verdammten Ermittlungen alleine durchzuführen. Steuermark spürte, wie sich die Wut langsam den Weg durch seine Blutbahnen suchte. Seine Gesichtsfarbe erreichte einen bedenklichen Rotton, doch statt Petra Ludwig wieder ins Feld zu schicken, machte er ihr ein Angebot, welches er im selben Augenblick schon bereute.
»Ich unterstütze Sie bei den Ermittlungen.«
Petra Ludwig blickte ihn ungläubig an. »Aber Sie haben seit Jahren nicht mehr vor Ort ermittelt. Weder Sie noch ich verfügen über genügend praktische Erfahrungen, um einen Serientäter zu fassen.«
Hans Steuermark funkelte Petra Ludwig aus wütenden Augen an. »Ich werde meine Meinung nicht mehr ändern!«, zischte er. »Ich war übrigens persönlich an der Festnahme des sogenannten Sichelmörders beteiligt.«
Petra Ludwig lenkte ein: »Das weiß ich. Ich zweifele auch wirklich nicht an ihren Fähigkeiten. Ich brauche einfach mehr Unterstützung.«
Hans Steuermark schüttelte genervt den Kopf. Diese Frau war wirklich hartnäckig. »Also gut«, antwortete er schließlich. »Das gesamte Recherche-Team steht Ihnen zur Verfügung. Morgen zur selben Zeit erwarte ich Ihren ersten Bericht.«
Petra Ludwig nickte. Das war zwar nicht ganz das, was sie erreichen wollte, aber immerhin besser als nichts.
...
Kommissar
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