Kalter Zwilling
Oder festsitzen. Petra wusste, dass er sie nicht besonders gut leiden konnte. Er hielt sie für eine überehrgeizige Karrierefrau, wie fast alle ihrer männlichen Kollegen. Doch sie mochte ihn. Auch wenn es falsch war, imponierte es ihr, wie er seinen Partner Klaus Gruber geschützt hatte. Für sie würde sicher niemand so etwas tun.
Der Tote lag auf einem großen Bett im Schlafzimmer seines Einfamilienhauses. Es lag etwas außerhalb der Stadtmauern von Zons in einer beliebten Wohngegend und unmittelbarer Nähe zum Rhein. Hans-Peter Mundscheit war leitender Biologe an der Universität zu Köln gewesen. Er war bekannt für die hohe Erfolgsquote seines IVF-Labors. Petra kannte eine Freundin, die mit seiner Hilfe nach jahrelangen erfolglosen Versuchen endlich schwanger geworden war. IVF oder In-vitro-Fertilisation hieß das Verfahren der künstlichen Befruchtung, mit dem Mundscheit kinderlosen Paaren zum ersehnten Nachwuchs verholfen hatte.
Es war seltsam, Hans-Peter Mundscheit tot zu sehen. Noch gestern hatte Petra sein Foto in der Zeitung gesehen und jetzt lag er verstümmelt vor ihr. Er blickte sie aus leeren Augen an. Acht seiner Finger waren amputiert worden. An seinen Oberschenkeln fanden sich ähnliche Verletzungen wie bei der ermordeten Sophia Koslow. Die fein säuberlich freigelegten Blutgefäße lagen schlaff auf dem blutgetränkten Muskelfleisch. Entweder war hier ein Nachahmungstäter am Werk gewesen oder sie hatten es mit einem Serienmörder zu tun. Petras Herz hämmerte bei diesem Gedanken wie wild gegen ihre Rippen. Alleine konnte sie das nicht schaffen. Hans Steuermark hatte ihr keinen Partner zur Seite gestellt. Mit massivem Personalmangel hatte er seine Entscheidung begründet, aber das würde sie nicht akzeptieren. Nicht unter diesen Umständen.
Hier war definitiv ein wahnsinniges Monster am Werk, und wenn es ein Serienkiller war, dann hatte er offensichtlich Geschmack an seinen Taten gefunden. Eine tickende Zeitbombe lief im Rhein-Kreis Neuss herum, und wenn sie nicht schnell entschärft würde, war das nächste Opfer schon so gut wie tot.
...
»Professor Morgenstern hat heute nicht viel Zeit.« Annas Mutter schüttelte bedauernd den Kopf. »Ein sehr enger Freund von ihm ist gerade verstorben und er hat alle Hände voll mit den Vorbereitungen für die Beerdigung zu tun.«
Sie schaute Emily ins Gesicht. Wer sie nicht kannte, dem wären ihre tränengeröteten Augen nicht aufgefallen. Doch Bettina Winterfeld ließ sich nicht täuschen. »Alles in Ordnung, Kleines?«
»Sie hat sich nur mit Ihrem Freund gestritten. Nichts Schlimmes, Mama«, warf Anna ein und legte fürsorglich den Arm um ihre beste Freundin. Typisch, dachte sie, meine Mutter hat wirklich einen Instinkt für Probleme. Vor ihr kann einfach niemand etwas verbergen.
»Wie lange können wir denn mit Professor Morgenstern sprechen?« Anna versuchte, ihre Mutter vom Thema abzulenken. Emily hatte sich gerade einigermaßen stabilisiert und Anna wollte unbedingt den nächsten Weinkrampf verhindern. Emily steigerte sich gerne in extreme Gefühlslagen hinein. Wenn Anna sie jetzt nicht ablenkte, würde sie den ganzen Tag nur an Oliver denken. Der Streit war aus Annas Sicht nicht so dramatisch, dass Emily sich deswegen die Augen aus dem Kopf weinen musste. Ganz im Gegenteil, je schneller sie sich beruhigte und wieder Kontakt mit ihm aufnahm, umso größer war die Chance, dass sie nicht mit ihrem Dickkopf durch die Wand ging und ihren Freund womöglich noch vor die Tür setzte. Ablenkung war die beste Medizin für Emilys italienisches Temperament. Anna musste ihre Mutter also unbedingt davon abhalten, weitere peinliche Fragen zu stellen.
Sie blickte ihre Mutter flehend an und schüttelte dabei vielsagend den Kopf. Bettina Winterfeld runzelte die Stirn und öffnete den Mund. Dann stockte sie mitten in der Bewegung und kniff die Augen zusammen. »Wenn ihr wollt, zeige ich euch nachher noch die rote Etage.« Anna atmete dankbar auf. Ihre Mutter hatte sie verstanden.
Emilys Augen leuchteten interessiert auf. »Wenn das möglich ist, würde ich mich dort sehr gerne umsehen. Dürfte ich ein paar Fotos machen?«
»Oh, das kann ich nicht beantworten«, erwiderte Bettina Winterfeld. »Fragt doch am besten Professor Morgenstern danach.« Mit diesen Worten schob sie die beiden aus der winzigen Anmeldung hinaus.
Professor Morgenstern begrüßte Anna und Emily mit einem müden »Hallo«. Er sah ziemlich mitgenommen aus. Die Narbe in
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