Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kaltherzig

Titel: Kaltherzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag Fred Kinzel
Vom Netzwerk:
zu Fuß nach Hause gehen. In meinem Kopf durfte nichts anderes sein als jeder Schritt von ihm, jedes Zucken seines Ohrs, jedes Anspannen seiner Muskeln.
    Der Reitweg lief geradeaus zwischen der Straße rechts von mir und einem dunklen, schmutzigen und schmalen
Kanal auf der linken Seite. Ich stieß den Wallach mit einem Bein an; er verfiel in einen leichten Galopp und zerrte an den Zügeln, weil er rennen wollte. Eine kleine Schar weißer Ibisse, die am Ufer grasten, erschrak und flog auf. Arli machte bei der Explosion weißen Gefieders einen Satz und wieherte schrill, dann vollführte er einen Bocksprung und schoss los, mit langen, raumgreifenden Sätzen.
    Ein vernünftigerer Mensch als ich hätte kaum Luft bekommen vor Angst, die Zügel zurückgerissen, um sein Überleben gebetet. Ich dagegen ließ das Pferd unkontrolliert laufen. Adrenalin rauschte wie eine Droge durch meine Adern.
    Er rannte, als wäre der Teufel hinter uns her. Ich klammerte mich an ihn wie eine Zecke, tief über meinem Schwerpunkt sitzend. Ein Stück voraus machte die Straße eine scharfe Biegung nach rechts.
    Ich rührte die Zügel nicht an. Arli lief geradeaus, verließ den Weg, blieb am Kanal. Ohne zu zögern, setzte er über einen kleinen Graben und rannte weiter, am Ende eines weiteren Feldwegs vorbei.
    Er hätte sich ein Bein brechen, auf mich fallen, mich abwerfen, zum Krüppel machen können. Er hätte so schwer straucheln können, dass ich aus dem Sitz geflogen und mit einem Bein im Steigbügel mitgeschleift worden wäre. Aber es war nicht das Pferd, das mir Angst machte, nicht die Möglichkeit, mich zu verletzen oder umzukommen. Was mich ängstigte, war die Begeisterung, die ich spürte, meine euphorische Gleichgültigkeit gegenüber dem eigenen Leben.
    Es war dieses Gefühl, das mich schließlich um Kontrolle ringen ließ - Kontrolle über das Pferd und über mich. Er ließ sich schrittweise von mir zurückholen, von heilloser
Flucht über Galopp, leichten Galopp zu einem kraftvollen, tänzelnden Trott. Als er schließlich mehr oder weniger stehen blieb, reckte er den Kopf in die Luft und blies lautstark aus weit geöffneten Nüstern. Dampf stieg von seinem Körper auf, genau wie von meinem, wir waren beide in Schweiß gebadet. Mein Puls raste. Ich drückte die zitternde Hand an seinen Hals. Er schnaubte, schüttelte den Kopf, sprang seitwärts.
    Ich wusste nicht, wie weit wir geritten waren. Die Wiesen lagen lange hinter uns. Wald erstreckte sich zu beiden Seiten des Feldwegs. Hohe, dürre Pinien stießen wie Speere himmelwärts. Dichtes Gestrüpp säumte das andere Ufer des Kanals.
    Arli tänzelte unter mir, nervös, ungebärdig, bereit, erneut loszustürmen. Er senkte den Kopf und versuchte, mir die Zügel aus der Hand zu reißen. Ich spürte seine Muskeln unter mir zittern, und mir dämmerte, dass es nicht mehr Aufregung war, was ihn umtrieb. Es war Angst.
    Er schnaubte wieder und schüttelte heftig den Kopf. Ich suchte die Ufer des Kanals mit den Augen ab, den Waldrand zu beiden Seiten. Wildschweine durchstreiften dieses Buschland. Wilde Hunde - Pitbulls, die irgendwelche Hinterwäldler geschlagen hatten, bis sie bösartig wurden, und die sie dann ausgesetzt hatten, weil sie sie nicht mehr bei sich haben wollten. Gelegentlich waren schon Panther in dieser Gegend gesichtet worden. Zudem gab es immer Gerüchte, dass dieses oder jenes Tier aus dem Lion Country Safari Park entflohen war. Alligatoren jagten in den Kanälen.
    Ich zuckte heftig zusammen, ehe ich den Anblick verarbeiten konnte.

    Ein menschlicher Arm ragte aus dem schwarzen Wasser, wie um Hilfe ausgestreckt, für die es längst zu spät war. Irgendetwas - ein Rotluchs vielleicht oder ein äußerst ehrgeiziger Fuchs - hatte versucht, den Arm aus dem Wasser zu ziehen, allerdings nicht in hilfreicher Absicht. Die Hand und das Handgelenk waren zerfleischt, einige Knochen lagen blank. Schwarze Fliegen schwebten und krochen über die Gliedmaße wie ein lebender Spitzenhandschuh.
    Es gab keine erkennbaren Reifenspuren, die ins Wasser führten. Das passierte nämlich ständig - zu viel Alkohol, ein kurzes Einnicken am Steuer, Unvernunft. Anscheinend stürzten praktisch täglich Leute in die Kanäle des südlichen Florida und ertranken. Aber hier war nichts von einem Auto zu sehen.
    Ich zog mit einer Hand hart am Zügel, holte mit der anderen mein Handy hervor und tippte eine Nummer ein.
    Es läutete zwei Mal.
    »Landry.« Die Stimme klang schroff.
    »Du wirst hier rauskommen

Weitere Kostenlose Bücher