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Kaltstart

Titel: Kaltstart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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handele sich in Wirklichkeit um ein neues Mikroskop oder eine neue Carrera-Rennbahn. Carrera-Rennbahnen standen damals sehr hoch im Kurs, und damit hätte er mich wirklich beeindrucken können. Oder ich war vielleicht ein bisschen hochnäsig nach diesem Erlebnis mit der grauen Schokolade, und dachte: “Was bringt er jetzt wieder für einen Scheiß an.”
    Frieder bastelte. So sah es jedenfalls aus. Er entnahm den drei Kartons drei Kisten, eine große schwarze, die unverständlicherweise wie eine Schreibmaschinentastatur aussah, eine kleinere schwarze, die entfernt an den Kassettenrecorder meines Bruders erinnerte, und eine ganz kleine schwarze, die Frieder in die Steckdose an der Wand steckte. Er verband das Arrangement mit Kabeln untereinander, drückte einen Schalter an dem größten schwarzen Kasten, und sah mich an, als habe er gerade Amerika entdeckt.
    Ich konnte mir absolut keinen Reim darauf machen, und hatte ein leicht flaues Gefühl im Magen, so als sollte ich betrogen oder grob veralbert werden, und müsste nur genau genug hinsehen, dann würde ich den Trick schon erkennen. Es war leicht düster im Zimmer, der Abend brach herein, und Frieder saß auf dem abgewetzten Teppichboden über seinen Gerätschaften und wartete auf einen Kommentar. Ich wollte ja nicht direkt unhöflich sein, und auch nicht völlig blöde wirken, aber mir fiel nichts anderes ein, außer:
    “Was ist das?”
    Ich brachte das Eingeständnis meiner totalen Ahnungslosigkeit mit einer gewissen Gewalt hervor, so dass es wie ein Vorwurf klang. Frieder lächelte.
    “Das”, sagte er zufrieden, “ist ein Computer.”
    Seine Selbstsicherheit ärgerte mich. Eben, über der aufgeklappten Schokoladensitzbank war ich noch Herr der Lage gewesen und hatte seine schäbigen Höflichkeiten dankend ablehnen können. Jetzt wehte hier eine anderer Wind, Frieder bestimmte jetzt mit seinem mysteriösen Verhalten den Takt, und ich fühlte mich, als sei ich im falschen Film. Ein Computer? Was um Himmels willen war das?
    “Und was kann man damit machen?”, fragte ich und glitt von dem Stuhl hinunter auf den Teppichboden, um dem Mysterium ein wenig näher zu sein. Da war immer noch eine gewisse Gereiztheit in meiner Stimme, aber Frieder griff die Neugier dankbar auf.
    “Man kann damit Programme schreiben. Ich kann ihn jetzt nicht richtig anmachen, weil ich ihn sonst an unseren Fernseher dran stecken müsste, aber ich wollte ihn dir halt mal zeigen.”
    Programme, dachte ich. Fernsehen.
    “Fernsehprogramme?”, fragte ich blöde.
    Frieder lachte, und ich wurde rot.
    “Nein”, sagte er freundlich. “Programme sind Dinger, die ... die ... Sachen machen können.”
    Das hier ging mir eindeutig über die Hutschnur. Für so etwas war ich nicht hergekommen. Mir war richtig unheimlich zumut. Aber der Knockout war noch im Kommen.
    “Ich kann Programme machen, die verschiedene Sachen berechnen.”
    Ich erinnerte mich düster, dass er neulich einen neuen Taschenrechner mit in die Schule gebracht hatte, der seiner Auskunft nach “programmierbar” war, wovon ich halb verstand, dass der Rechner gewisse Operationen so gut wie selbständig ausführen konnte, weswegen er bei den Mathematikarbeiten nicht erlaubt war. “Texas Instruments” hatte auf dem Taschenrechner gestanden. Daran erinnerte ich mich genau. Frieder war schon immer der beste in Mathematik gewesen, und warum er einen “programmierbaren” Rechner brauchte, war mir nicht ganz klar. Auf jeden Fall griff ich nach dem einzigen Kontext, in dem ich bisher den Begriff “programmierbar” gehört hatte, wie ein Ertrinkender nach einem Strohhalm.
    “Das ist wie bei deinem Taschenrechner, oder?”, fragte ich vage, und Frieders Gesicht hellte sich auf.
    “Genau. Nur kann der hier viel mehr. Viel bessere Programme.”
    Das war mir nun wieder völlig schleierhaft. Ich wollte diese Programme sehen. Ich wollte ihnen gegenübertreten. Dieses abstrakte Gefasel von “Programmen” und “Programmierbarkeit” ging mir auf die Nerven.
    “Und wo sind diese Programme?”
    Frieder drückte auf die schwarze Kiste, die ein bisschen wie ein Kassettenrekorder aussah, und tatsächlich, ein Kassettenfach sprang auf, und er fischte eine Tonbandkassette heraus, die genau wie die aussah, auf denen mein Bruder ungelenk seine Lieblingslieder aus dem Radio aufnahm, so dass man vorne und hinten immer noch ein wenig von den Nachrichten, der Werbung oder dem Moderator mitbekam. Frieder hielt die Kassette in die Höhe und

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