Kaltstart
als der TRS-80 von 1978, und dass meine optische Maus schneller rechnet als mein 386er, den ich 1993 kaufte? Das finde ich unwahrscheinlich.
Und Frieder? Ich weiß es nicht. Er arbeitet vielleicht an den Infowar-Strategien der Bundeswehr, sitzt als Verbindungsoffizier des MAD in irgend einem Stab, der sich mit der deutschen Abteilung von Echelon in Bad Aibling befasst, oder kümmert sich um die Elektronik der Tornados. Es wäre ein weiter Weg von jenem düsteren Nachmittag in einem saarländischen Kinderzimmer zu den derniers cris der Militärinformatik. Oder greife ich in seinem Namen zu hoch? Hat er nur ein perfektes Abrechnungsprogramm für alle Bundeswehrcasinos von Flensburg bis Passau geschrieben? Verwaltet er die Software für die Einkleidung in den Kasernen von Köln bis Frankfurt/Oder? Vielleicht. Vielleicht ist es noch ganz etwas anderes, noch unspektakulärer. Aber ich fürchte, er ist immer noch auf der Flucht vor jenem Sitzbänkchen voll grauer Schokolade.
Montagnola Blues
Zwischen 1978 und 1986 gab es in meinem Leben so gut wie keine Computer. Ich hatte ganz andere Probleme. Mochte doch Frieder seinen Schabernack mit seinem elektronischen Krimskrams treiben, ich wollte sowieso lieber lesen, und das am besten immer. Zwar wurden auch meine Taschenrechner immer eleganter und, von mir unbemerkt, auch programmierbar, aber das verbesserte meine Leistungen in Mathematik und Physik überhaupt nicht. Mir war das alles zuwider, von den Lehrinhalten bis zu den Lehrpersonen, ich hatte andere Probleme. Meine erste Freundin, interessierte sich die für Computer? Nie im Leben! Sie interessierte sich für Hermann Hesse. Und daher interessierte ich mich dann eben auch für Hermann Hesse, wobei mich an Erwachsenenliteratur vorher doch nur die billig gebundenen Kishons im Bücherschrank und die Pornos im Kleiderschrank meiner Eltern interessiert hatten. Hätte sich meine erste Freundin, Irene hieß sie, für Computer interessiert (wodurch sie sofort in ihrer Familie, ihrer Schule und überall sonst zum Freak des Jahrhunderts mutiert wäre) hätte ich das auch getan, aber sie las “Demian”, und ich tat es auch, das schien mir der Weg, um ihr Spaß zu machen, und das wollte ich unbedingt. Ich wollte sie küssen. Sie wollte das aber nicht. Sie war zwei Jahre älter, und schätzte es platonisch. Plato ging mir schon auf die Nerven, bevor ich noch eine Zeile von ihm gelesen hatte, und nachdem ich ganz viele Zeilen von ihm gelesen hatte, Irene zuliebe nämlich, ging er mir erst recht auf die Nerven. Aber Belesenheit machte bei Irene Eindruck, auch wenn sie nicht geküsst werden wollte. Das groteske Beziehungsgewurstel zweier Kleinbürgerkinder, das furchtbar erwachsene Liebesfingerhakeln zwischen einem einsamen 14jährigen und einer sensiblen 16jährigen. Ich ließ mir zu meinem 15. Geburtstag die billige Suhrkampausgabe von Hesses Prosa schenken, und stellte sie zu der kleinen Sammlung von “ernsthaften” Büchern, die ich mir bereits von meinem Taschengeld zugelegt hatte. Man stelle sich nur vor: “Fremde Körper” von Krolow war dabei, und ein Band Gedichte von Günter Eich. Der fremdeste Körper trug den Namen Irene und begann über den Eifer zu staunen, mit dem ich ihn literarisch anlocken, umgarnen, einfangen wollte. Die Bücher waren meine Armee. Sie gaben mir das Gefühl, etwas besonderes zu sein. Es ist zum Brüllen komisch und zum Weinen traurig, aber ich begann mir aus diesen paar Brettern, und den dünnsten und minderwertigsten natürlich zuerst, eine Identität zu zimmern. Selbstredend verstand ich von all dem Zeug nichts, aber ich las es doch gern, es gab mit ein gutes Gefühl, meine Tragik hatte eine Stimme, ich wurde verstanden. Die acht Bände Hesse las ich ratzfatz alle. Und alles, was ich von ihm in der Bibliothek fand, dazu. Ich schenkte meinem Vater das “Glasperlenspiel”, damit er mich verstehen konnte. Mein Vater fand den Leseeifer seines Sohnes bedenklich, und dieses Geschenk kam ihm verdächtig vor. Aber mich, mich munitionierte der spätromantische Schwafler aus Calw. Und mithilfe der Munition, die er mir an die Hand gab, überstand ich Irene, meine Pubertät, und schließlich Hermann Hesse selbst. Weil ich ja irgendeine Identität brauchte, hatte ich mir eine gemacht: ich war ein Leser. Da sich das in der Schule in gute Deutschnoten umsetzen ließ, gaben sich am Ende sogar meine Eltern geschlagen. Von Frieder und den Computern entfernte mich der komische Bildungseifer immer mehr. Und
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