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Kampf der Gefuehle

Kampf der Gefuehle

Titel: Kampf der Gefuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Blake
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Eigenschaften.« Er lachte auf, glücklicherweise nur kurz, denn sie war gerade dabei, die Partie um seinen Mund zu rasieren. »Aber sie haben völlig recht. Ich habe meinen Bruder getötet.«
    Schockiert hielt sie inne. Es dauerte einen Moment, bis sie in der Lage war, zu sprechen. »Ihren älteren Bruder, meinen Sie? Den Erben?«
    »Sie haben, wie ich merke, eine ebenso schlechte Meinung von mir wie meine Eltern und meine Großeltern. Nein. Das Opfer war mein jüngerer Bruder Sean. Er war ein Nachkömmling, der gezeugt wurde, weil mein Vater meinte, seine ehelichen Rechte geltend machen zu müssen, nachdem er aus Griechenland, Italien, Macao oder sonst wo zurückgekehrt war und herausgefunden hatte, dass meine Mutter sich mit dem Gärtner eingelassen hatte. Möglicherweise stammte der Kleine auch vom Gärtner. Da sich das nicht mit Sicherheit feststellen ließ, akzeptierte mein Vater ihn als seinen Sohn. Er war ein lieber, aufgeweckter Junge, und seine Haare waren so golden wie ...« Abrupt verstummte er, als hätte ihm etwas die Kehle zugeschnürt.
    »Was ist geschehen?« Wie um ihn zu schonen, weil seine Stimme so schmerzlich geklungen hatte, ließ sie das Rasiermesser mit äußerster Behutsamkeit über sein Kinn und seinen Hals gleiten. Etwas über seine Lebens-geschichte zu erfahren machte ihn irgendwie weniger furchteinflößend. Dass es ihn auch menschlicher machte, war etwas, worüber sie im Moment nicht weiter nachdenken wollte.
    »Er spielte mit seinem Spielzeugboot an einem Teich, in dessen Nähe ein Pavillon lag, den irgendein Vorfahre von uns hatte errichten lassen. Zuvor hatten er und sein Kindermädchen ein Picknick im Freien gemacht. Da dem Kindermädchen schlecht wurde, bat sie meinen älteren Bruder, auf den Kleinen aufzupassen, während sie zum Haus rannte. Er behauptete hinterher steif und fest, er habe die Aufgabe an mich delegiert, da ich im Pavillon saß und wie gewöhnlich las. Da ich mich zu sehr auf mein Buch konzentriert hätte, so sagte mein Bruder, hätte ich nicht aufgepasst und den Kleinen ertrinken lassen.«
    »Nein«, flüsterte sie voller Entschiedenheit.
    Er sah sie mit weit aufgerissenen Augen eindringlich an. »Sie scheinen sich ja sehr sicher zu sein.«
    Das war sie in der Tat, obwohl sie nicht zu sagen vermocht hätte, warum. »Und was ist in Wirklichkeit geschehen?«, wollte sie wissen.
    »Etwas, bei dem das Tragische und Groteske untrennbar miteinander verwoben waren, auf höchst schäbige Weise. Ich war nämlich gar nicht im Pavillon, sondern hatte zu dem Zeitpunkt ein Rendezvous mit der Dame, die mit Thomas verlobt war. Ich konnte sie natürlich nicht verraten, und sie konnte mich nicht verteidigen, ohne ihre Zukunft als meine Schwägerin zu gefährden. Es war besser, die Schuld auf mich zu nehmen und das Haus meines Großvaters zu verlassen. Und genau das geschah.«
    In dem Moment rutschte ihr die Hand aus, weil sie zu aufmerksam zuhörte, nicht nur die Worte vernahm, sondern allen Kummer, der darin mitschwang.
    Die Klinge ritzte seinen Hals oberhalb des Adamsapfels auf. Ein heller Blutstropfen quoll aus der Wunde und schimmerte im Morgenlicht.
    Vor Schreck wurde ihr ganz flau zumute. Gleichzeitig fiel ihr wieder ein, wie er, den Rücken und die Seite aufgeschlitzt, blutüberströmt auf dem Duellplatz gelegen hatte. Sie ließ das Rasiermesser fallen, presste den Daumen auf den kleinen Schnitt und schloss die Augen.
    »Hören Sie auf, sich Gedanken zu machen«, sagte er im Befehlston. »Das bringt nichts.«
    »Das wollte ich nicht.« Sie sah ihn mit tränenfeuchtem Blick an. »Wirklich nicht. Das tut mir so leid.«
    »Das macht doch nichts. So etwas ist mir auch schon passiert. Es könnte sogar sein«, fügte er hinzu, »dass ich Ihnen in puncto Blut eine kleine Entschädigung schulde.«
    Alarmiert zuckte sie innerlich zusammen. Er wusste Bescheid. Irgendwie hatte er herausgefunden, wer sie war, hatte erraten, was sie vorhatte. Sie schüttelte verwirrt den Kopf.
    »Weil ich Sie am Handgelenk verletzt habe«, erklärte er. »Eine Wunde gleicht der anderen. Einige eitern, einige heilen, aber die wenigsten vergisst man. Unsere werden hoffentlich keine Narben hinterlassen, zumindest keine sichtbaren.«
    Sie sah ihn unverwandt an, während ihr Herz wie wild gegen ihre Rippen hämmerte. In den dunklen Tiefen seiner Augen nahm sie einen Strudel von Gefühlen, von Schmerz und Reue wahr. Er war ein Mensch, dem es keineswegs an Empfindsamkeit mangelte, folglich hatte er nicht anders

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