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Kandide oder die beste aller Welten

Kandide oder die beste aller Welten

Titel: Kandide oder die beste aller Welten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ekz.bibliotheksservice GmbH
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aus selbigem Baroneß Gundchens schöner blauer Augen halber war gejagt worden. Er sprach viele gravitätsche Allongenperücken, die sich bei ihm vorbeischoben, um einen Zehrpfennig an und viele ehrbare alte Hauspostillen, die bei ihm wegtrippelten; allein diese sowohl wie jene rückten mit nichts hervor als mit der Ermahnung: diese Lebensart fahren zu lassen, sonst würde man ihn im Zuchthause unterbringen.
    Hierauf wandt' er sich an einen Mann, der eine Stunde lang ganz allein in einer großen Versammlung über christliche Nächstenliebe und Barmherzigkeit gesprochen. Dieser Redner sah' ihn über die Schulter an und sagte: Freund, warum seid Ihr hieher kommen? Um Euch zu dem kleinen Häuflein der Gerechten und Stillen im Lande zu gesellen? Oder waserlei ist die Ursach?
    Jegliche Wirkung, hub Kandide in bescheidnem Tone an, hat ihre Grundursach; jegliche Begebenheit unsers Lebens ist ein notwendiges Glied in der Kette der Dinge; ist selbiger aufs geschickteste, beste eingepaßt. Ich mußte von Baroneß Kunegunden fortgejagt werden, mußte Spießruten laufen und muß so lange mein Brot betteln gehn, bis ich welches verdienen kann; das alles konnte nicht anders kommen.
    Glaubt Ihr denn, mein Freund, sagte der Redner zu ihm, daß der Papst der Antichrist sei? Davon hab' ich noch nie gehört, antwortete jener, auch gilt's mir ganz gleich, sei er's oder sei er's nicht; hätt' ich nur Brot. Auch nicht der Brosämlein einen verdienst du, heilloser Bube, die von der Herren Tische fallen, sagte der Schwarzrock. Heb' dich aus meinen Augen, du Schalk du! du Belialsbrut!
    Des Redners Frau, die den Kopf zum Fenster hinausgesteckt und vernommen hatte, daß es einen Menschen gab, der an der Antichristheit des Papsts zweifelte, leerte über sein Haupt einen vollgerüttelten und geschüttelten Nachttopf. Gott, wie weit geht der Religionseifer bei den Damen!
    Ein niegetauftes Geschöpf, ein wackrer Wiedertäufer, namens Jakob Schwezinger, sähe, wie hartherzig, wie schmählich man einem seiner Brüder begegnete, einem zweifüßigen, federlosen Geschöpf, das doch eine Seele hatte; und es jammerte ihn sein, und er führte ihn hinab in sein Haus und säuberte ihn und gab ihm Brot zu essen und Bier zu trinken, und schenkte ihm zwei Gulden; auch wollt' er ihn sogar in seiner Fabrik arbeiten lehren, woselbst mitten in Holland persische Stoffe verfertigt wurden.
    Kandide wollte sich ihm zu Füßen werfen und schrie: Er hat wohl recht, der gute Herr Magister! Diese Welt ist die beste! Ihr außerordentlicher Edelmut macht tiefern Eindruck auf mich als die Hartherzigkeit des Herrn Schwarzmantels und seiner Frau Gemahlin.
    Den folgenden Tag stieß er beim Spazierengehn auf eine wahre Lazarusfigur von Bettler. Über und über mit Schwären bedeckt war sein Aug erloschen, die Nasenspitze weggefressen, der Mund ganz verzogen, die Zähne kohlschwarz. Er gurgelte und hustete jedes Wort hervor; und sein Husten war so heftig, daß er jedesmal einen Zahn ausspie.

Viertes Kapitel: Wie Kandide seinen alten Lehrmeister in der Philosophie, den Magister Panglos, wiederfand und was weiter geschahe
    Kandide, der mehr Mitleid als Entsetzen bei diesem Anblick empfand, gab dem Scheusal von Bettler die zwei Gulden, die ihm der biederherzige Wiedertäufer Jakob gegeben hatte. Diese Jammergestalt sah' ihn starr an, Tränen rannten von ihren Wangen, und sie fiel Kandiden um den Hals, der vor Schreck zurückbebte.
    Und Ihr kennt Euren lieben Panglos nicht mehr? sagte der eine Unglückliche zum andern Unglücklichen. "Was hör' ich? Sie sind's, mein lieber Lehrer? Sind in solch gräßlich Elend gesunken? Wodurch das? Und weshalb nicht mehr in dem schönsten aller Schlösser? Was ist aus Baroneß Kunegunden geworden, der Perl' aller Mädchen, dem Meisterstücke der Natur?" Mit mir ist's aus, rief Panglos, und sank um.
    Alsbald schleppt' ihn Kandide in des Wiedertäufers Stall und gab ihm ein paar Bissen Brot, und als er sich wieder ein wenig erquickt hatte, fragt' er ihn: Nun, und Kunegunde? Ist tot, erwiderte jener. Bei diesen Worten sank Kandide in Ohnmacht; sein Freund brachte ihn mit einem paar Tropfen verdorbnem Weinessig wieder zu sich, der sich von ungefähr im Stalle fand. Kandide (die Augen aufschlagend): Tot! Kunegunde tot! Oh, wo bist du beste der Welten ? – Aber woran starb sie? Gab ihr das den Tod, daß sie mich aus ihres Herrn Vaters schönem Schlosse mit derben Fußstößen hinausjagen sahe?
    Panglos. Das nicht! Bulgarische Soldaten schlitzten ihr

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