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Kandide oder die beste aller Welten

Kandide oder die beste aller Welten

Titel: Kandide oder die beste aller Welten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ekz.bibliotheksservice GmbH
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ihm deutlich, es sei alles auf das beste eingerichtet. Gewesen wohl, fiel ihm Jakob Schwezinger ein, aber jetzt nicht mehr. Durch die Menschen, denk' ich, ist die Natur um ein gut Teil verdorben worden. Wolfssinn ward ihnen nicht angeboren und doch haben sie ihn. Gott gab ihnen nicht Vierundzwanzigpfünder, nicht Bajonette, sie gössen sie sich aber, schliffen sie sich, um einander aufzureiben. Auch die Bankrotte könnt' ich hier in Anschlag bringen, und die Obrigkeiten, welche die Gläubiger um des Bankrottiers Habe prellen und es in ihren Wanst schieben. Alles das ist unumgänglich notwendig, erwiderte Magister Einauge. Es trägt zum allgemeinen Wohl bei, wenn Hinz unglücklich ist und Kunz; je mehr Privatunglücksfälle also, je besser für's Ganze.
    Während des Philosophierens bewölkte sich der Himmel, die Winde bliesen aus allen vier Enden der Welt, und das schrecklichste Ungewitter packte das Schiff im Angesicht des Lissabonner Hafens.

Fünftes Kapitel: Seesturm, Schiffbruch, Erdbeben, Schicksal des Magister Panglos, Kandidens und des Wiedertäufers Jakob Schwezinger
    Nicht lange, so waren die Segel zerrissen, die Maste zerschmettert, das hinundhergeschleuderte Schiff ganz leck. Der Schreck war den meisten darauf so heftig auf die Nerven gefallen, hatte solche Revolution in ihrem ganzen Körper hervorgebracht, daß sie ganz fühllos und starr bei der sie umschwebenden Gefahr waren; die übrigen kreischten und beteten laut; wer arbeiten konnte, arbeitete; da hörte niemand, befahl niemand.
    Der Wiedertäufer stand auf dem Verdeck und half ein wenig. Ein wütender Matros stürzte ihn durch einen derben Stoß zu Boden, prellte aber durch dessen Heftigkeit selbst eine Ecke zurück und über Bord kopfüber ins Wasser. Zum Glück blieb er an einem Ende des Mastes hängen. Der gutherzige Jakob springt ihm zur Hilfe, zerarbeitet und zerquält sich, ihn heraufzuziehn, und fällt darüber selbst ins Meer. Der dabeistehende Matros läßt seinen Retter untersinken, ohn' einmal auf ihn hinzublicken. Kandide kommt herzu, sieht seinen Wohltäter mit den Wellen kämpfen und einen Augenblick darauf auf ewig von ihnen verschlungen. Er will ihm nach, Philosoph Panglos hält ihn zurück und beweist ihm, die Lissabonner Reede sei ausdrücklich dazu erschaffen worden, daß Wiedertäufer Schwezinger daselbst ertrinken mußte.
    Indem er dies a priori bewies, barst das Schiff. Alles, was drauf war, kam um bis auf Panglosen, Kandiden und das Ungeheuer von Matrosen, der den tugendhaften Wiedertäufer hatte ertrinken lassen. Der Schurke schwamm glücklich ans Ufer, das Panglos und Kandide gleichfalls auf einer Planke erreichten.
    Wie sie sich etwas erholt hatten, gingen sie auf Lissabon zu, in der Hoffnung, mit dem kleinen Überrest ihres Geldes sich vor dem Hunger zu bergen, nachdem sie glücklich dem Schiffbruch entronnen waren; unterwegs manche Träne über den Tod ihres Wohltäters vergießend.
    Kaum hatten sie den Fuß in die Stadt gesetzt, so fühlten sie die Erde unter sich dröhnen, das Meer brauste im Hafen empor und zerschellte die vor Anker liegenden Schiffe. Feuer- und Aschenwirbel bedeckten die Gassen und öffentlichen Plätze; die Grundfesten der Häuser wichen aus den Fugen, Giebel, Dächer stürzten herab, die Häuser zerschossen in Schutt und Trümmer, und dreißigtausend Einwohner jegliches Geschlechts und Alters erlagen unter selbigen.
    Schwernot! hier wird's was zu schnappen geben! rief der Matros und pfiff sich ein lustig Stückchen. Was mag wohl der zureichende Grund dieses Phänomens sein? sagte Panglos. Es ist der jüngste Tag! rief Kandide.
    Der Matros rannte spornstreichs unter die herabstürzenden Balken und Mauern und trotzte dem Tode, um Geld zu finden. Er fand welches, stopfte alle Taschen damit voll, besoff sich, und wie er den Rausch ausgeschlafen, dung er sich die erste beste Jungfer gutwillig, die er antraf, und mitten auf dem Schutt eingestürzter Häuser und unterm Haufen Sterbender und Toter berauschte er sich an dem fröhlichsten Liebesgenuß. Panglos zupfte ihn indes beim Ärmel und sagte: Daran tut Ihr nicht Recht, Freund; das streitet mit allen Gesetzen der Billigkeit; dazu ist jetzt keine Zeit. "Schocktausend Pestilenz! Herr, ich bin Matros und aus Batavia; bin viermal in Japan gewest und habs Kruzifix viermal mit Füßen getreten. Bei mir kömmt Er gar blind mit seiner Billigkeit und all dem dummen Schnack."
    Während der Zeit, daß dies im Hintergrunde vorging, hatten einige herabgestürzte

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