Kann das auch für immer sein?: Sommerflirt 3 (German Edition)
nimmt … sogar im wahrsten Sinne des Wortes.
Als wir uns dem Zimmer nähern, werden seine Schritte langsamer. »Du weißt doch, dass es völlig in Ordnung ist, wenn du weinst, oder?« Er zuckt mit den Schultern, als ich zu ihm aufblicke. »Das hat mir meine Mom gesagt, als mein Bruder gestorben ist.«
»Und, hast du geweint, Avi?«
Er beißt sich auf die Unterlippe und nickt. »Ja … habe ich.« Er räuspert sich und strafft die Schultern. »Komm«, sagt er und schiebt mich sanft in Richtung Zimmer.
Ich hole tief Luft und stecke meinen Kopf hinein. Safta hat eine Sauerstoffmaske über Nase und Mund. Ihre Augen sind geschlossen, und es sieht aus, als würde sie friedlich in dem Krankenhausbett schlafen. Ihre bleiche Haut verleiht ihr das Aussehen eines Engels. Neben dem Bett sitzt mein Dad. Er springt vom Stuhl auf und breitet die Arme aus, um mich an sich zu drücken, doch als er näher kommt, reißt er erschrocken die Augen auf.
»Amy. Mah carah? Was ist mit dir passiert?« Er deutet auf meine Arme und mein Kinn und inspiziert dann mein verkratztes Gesicht.
»Ach, das. Ähm … ich bin hingeknallt – auf steinigem Boden. Oder darübergeschlittert trifft es vielleicht eher.«
»Du siehst aus, als wärst du in ein Gefecht verstrickt gewesen.«
»So hat es sich auch angefühlt, aber heute geht es mir schon besser. Ich bin eine richtige Kämpferin geworden.« Zumindest halbwegs.
Als ich meinen Dad damals angebettelt habe, an diesem Sommerprogramm teilnehmen zu dürfen, hat er mich gewarnt. Er meinte, ich solle mich hinterher nicht beschweren, egal, wie hart das Ausbildungslager sei. Entweder könnte ich den ganzen Sommer mit ihm im Moschaw bei meiner Tante und meinem Onkel verbringen (möglicherweise, ohne Avi zu Gesicht zu bekommen) oder ich könnte mit meinen Freunden bei dem Armee-Teil des Sababa -Programms mitmachen (und möglicherweise Avi zu Gesicht bekommen). Aber wenn ich mich für das Bootcamp entscheide, dann sollte ich die Zähne zusammenbeißen.
Und genau das tue ich auch. Die Amy von früher – vor ihrer Zeit bei der Armee – würde sicher quengeln: Aba, die schmeißen uns da aus den Federn, noch ehe die Sonne aufgeht, und wir müssen im Dunkeln durch die Gegend rennen und in stinkende Löcher pinkeln und kacken. Und unsere Gewehre mit ins Bett nehmen und Marmelade mit Bienen essen und Jungs-Liegestütze machen und in Reih und Glied marschieren und Wände hochklettern und in Stockbetten schlafen, bei denen Sprungfedern über unseren Köpfen fehlen, und Gräben buddeln, in denen uns große, haarige Spinnen auflauern …
… aber das tue ich nicht.
»Wird sich Safta wieder erholen?«, frage ich, weil das im Moment das Einzige ist, was zählt. Meine Safta ist die Einzige von meinen Großeltern, die noch lebt, und ich will sie nicht verlieren. Das darf Gott nicht zulassen.
Obwohl – was mir richtig Angst macht, ist, dass Gott das eben doch zulassen kann. Rabbi Glassman sagt, der Tod gehört zum Leben dazu. Wir haben weder die Wahl, ob wir überhaupt leben wollen, noch, wann wir eines natürlichen Todes sterben.
»Sie muss morgen zur Computertomografie. Nach der Röntgenuntersuchung und wenn die Ergebnisse des Bluttests vorliegen, wissen wir mehr. Als sie aufgewacht ist, hatte sie Schmerzen und war völlig desorientiert, sodass sie ihr ein Beruhigungsmittel verabreicht haben. Ich denke nicht, dass sie vor morgen früh aufwacht, du kannst also genauso gut zum Moschaw fahren und dich ein bisschen hinlegen.« Er wirft mir abermals einen prüfenden Blick zu. »Warte mal, du siehst irgendwie anders aus, und das liegt nicht nur an den Schrammen. Hast du dir auf dem Stützpunkt eine neue Frisur zugelegt?«
»Ja, aber das ist eine lange Geschichte. Frag nicht.«
»Okay, ich frage nicht.« Er verzichtet darauf, nachzubohren, denn er kennt mein besonderes Talent, immer und überall in Schwierigkeiten zu geraten. Stattdessen schüttelt er Avi die Hand. »Danke, dass du Amy hergebracht hast.«
» Ayn b y’ah – kein Problem. Ich habe für achtundvierzig Stunden freibekommen.«
Ich stelle mich neben meine Safta, neige den Kopf und bete im Stillen zu Gott, dass er gut auf sie achtgeben soll – nur für den Fall, dass er zuhört, und nur für den Fall, dass er mein Gebet erhören will.
Ich weiß nicht, was ich täte, wenn ich sie verlieren würde. Bis vor einem Jahr wusste ich nicht mal, dass ich eine Großmutter habe, und jetzt liegt sie im Krankenhaus, und ich habe das Gefühl, dass sie mir schon
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