Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
PROLOG
Im sanften Morgenlicht glühen unsere Hütten in der nördlichen Halbwüste Kenias wie goldene Schatzkisten. Langsam ragen die ersten Sonnenstrahlen über das Gebirgsmassiv in die ausgedörrte Savanne. Die Berge säumen majestätisch den Horizont. So ruhig ist es in unserem Frauendorf nur in den ersten Morgenstunden. Es ist, als wären wir Frauen und Kinder in Umoja die Einzigen weit und breit in der Endlosigkeit dieser Graslandschaft – wie Überlebende nach einer Naturkatastrophe. Entgegen allen Prognosen haben wir dieses vertrocknete Stückchen Erde in eine kleine Oase verwandelt. »Umoja« bedeutet auf Suaheli »zusammen«. Jedes Mal, wenn eine neue Frau zu uns kam, haben wir gemeinsam angepackt, aus Zweigen eine Hütte für sie gebaut, die Hütte mit Dachmatten aus Sisal abgedeckt und alles mit Rinderdung und Schlamm verschmiert. Mittlerweile ist so ein ganzes Frauendorf entstanden, hinter einem Schutzwall aus Dornenzweigen.
Wie jeden Samstag will ich gleich mit den Kindern das Land nach Plastiktüten durchkämmen, die sich im Unterholz verfangen haben, denn samstags haben die Kinder frei und sie sollen lernen, ihre Umwelt sauber zu halten. Ich will, dass sie stolz sind auf dieses Dorf und die herrliche Landschaft, eine der tierreichsten in ganz Kenia. Unten im bräunlichen Wasser des Flusses Uwaso, der fortwährend fruchtbaren Schlamm aus dem mächtigen Gebirgsmassiv in die Tiefebene schwemmt,
lässt sich ein Krokodil müde treiben. Am Flussufer gedeihen meterhohe Palmen. Ein paar Samburu-Hirten treiben gerade ihre Kühe durch unser Land zum Fluss. Während der letzten Dürre waren wir für viele Nomaden aus der Umgebung die letzte Rettung. Auf unserem grünen Landstrich fanden die Rinder meistens noch etwas zum Grasen.
Während ich in der warmen Sonne durch das Unterholz gehe, rast ein paar Meter entfernt ein Geländewagen auf unser Dorf zu. Ich bekomme nicht mit, was meine Freundinnen erleben und mir später erzählen. Auf dem Campingplatz, den wir betreiben, kommt das Auto mit quietschenden Reifen zum Halten. Laut schimpfend springt ein Mann heraus. Lucy, eine meiner engsten Freundinnen, kocht gerade Tee für amerikanische Touristen, die auf unserem Campingplatz in Umoja übernachtet haben. Sie schaut durch unser kleines Küchenfenster, starrt den schwitzenden Mann an und braucht ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass dieser wutschnaubende Mensch mein Mann ist. Ich lebe getrennt von ihm. Er ist völlig aufgebracht. Mit einem Gewehr in der Hand läuft er in das kleine Lokal und schreit sie wütend an: »Wo ist Rebecca?« – »Ich weiß nicht«, erwidert die zierliche Frau sichtlich entsetzt und sie versucht, Zeit zu gewinnen, ihn abzulenken. Doch er ist wie besessen. Er lässt Lucy nicht aussprechen, schiebt sie grob beiseite. Nagusi, meine beste Freundin, eine ältere Samburu-Frau, die gerade den Tisch deckt, versucht ihn zu beschwichtigen. Als sie ihre Hand auf seinen Arm legt, stößt er sie wütend weg. Alle Versuche, ihn zu beruhigen, lassen ihn nur noch aufgebrachter werden. »Redet nicht herum«, herrscht er sie an. »Ihr verschwendet meine Zeit. Sagt mir sofort, wo sich meine Frau herumtreibt.« Wütend dringt er in die Küche ein, wirft polternd Gläser um und durchwühlt eine Schublade nach Papieren. Hastig steckt er ein paar Geldscheine, Dokumente und die Schlüssel zu den Touristenunterkünften ein, die wir auf dem Campingplatz betreiben. »Ich werde Rebecca kriegen«, schreit
er. »Ich werde sie umbringen. Sie wird diesen Tag nicht überleben. Dafür werde ich sorgen. Das könnt ihr Rebecca sagen. Es kann hier nur einen geben, sie oder mich.« Nach dieser Drohung drängt er Lucy, die sich schützend vor die Lebensmittel gestellt hat, beiseite und packt die Vorräte, die wir kilometerweit zu Fuß geschleppt haben, in einen Karton. Laut fluchend schmeißt er alles in seinen Geländewagen und rast in einer dichten Staubwolke davon.
Als ich Minuten später am Campingplatz ankomme, winken mich Lucy und Nagusi, meine langjährigen Mitstreiterinnen in Umoja, aufgeregt zu sich herüber. »Du musst hier sofort verschwinden. Dein Mann wird alles tun, um dich zu finden«, erklären sie ohne große Umschweife. Ich bin schockiert. Eigentlich sollte an diesem Wochenende in Umoja ein Workshop zum Thema Frauen und Menschenrechte stattfinden. Doch daran ist jetzt gar nicht mehr zu denken. Eine bessere Lektion zum Thema gäbe es ohnehin nicht.
Mittlerweile haben sich die Frauen in ihren roten
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