Kaperfahrt
Zahnlücken mit einem breiten Grinsen. »Die Korsaren des Pascha haben meine Schiffe oft genug gekapert, also dachte ich mir, dass ich mich auf diese Art und Weise angemessen rächen kann.«
»Gut, Sie auf unserer Seite zu haben«, erwiderte Lafayette geistesabwesend. Er war bereits damit beschäftigt, sein vorübergehendes Zuhause in Augenschein zu nehmen.
Die beiden Masten der Intrepid machten zwar einen soliden Eindruck, aber mehrere ihrer Stags hingen durch, und die Segel, die sie dem Wind darbot, waren salzverkrustet und häufig geflickt. Obwohl das Deck mit Lauge und Steinen geschrubbt worden war, stieg ein fauliger Hauch von den Eichenplanken auf. Von dem Gestank tränten Henry die Augen.
Das Schiff war mit nur vier kleinen Karronaden bewaffnet, einer besonderen Art von Schiffskanone, die auf Schienen anstatt auf Rädern nach hinten rutschte, wenn sie abgefeuert wurde. Die Mitglieder des Überfallkommandos lagen auf dem Deck, wo sie gerade Platz gefunden hatten, jeder mit einer Muskete und einem Schwert in Reichweite. Die meisten sahen aus, als litten sie noch unter den Nachwirkungen des Fünf-Tage-Sturms.
Henry grinste Decatur an. »Das ist ja das reinste Teufelskommando, das Sie hier haben, Sir.«
»Aye, aber immerhin ist es meins. Soweit ich weiß, Mr. Lafayette, hat Sie in all den Jahren Ihres Dienstes noch niemand Kapitän genannt.«
»Das ist wohl richtig« – Lafayette salutierte – »Kapitän.«
Ein weiterer Tag verstrich, bis der Wind so weit auffrischte, dass die Intrepid Kurs auf Tripolis nehmen konnte. Durch ein Messingfernrohr beobachteten Decatur und Lafayette, wie die mit einer Mauer gesicherte Stadt allmählich aus der. eintönigen, weglosen Wüste aufstieg. Auf der hohen Verteidigungsmauer sowie auf den Zinnen der Burg des Paschas waren mehr als einhundertfünfzig Kanonen verteilt. Wegen des Wellenbrechers, der auch Mole genannt wurde und die Ankerplätze abschirmte, konnten sie nur die Spitzen der drei Masten der Philadelphia sehen.
»Was denken Sie?«, wollte Decatur von Henry wissen, den er für den Angriff zum Ersten Offizier ernannt hatte. Sie standen Schulter an Schulter hinter dem maltesischen Lotsen.
Henry blickte erst zu den gehissten Segeln der Intrepid hinauf und dann auf die Kiellinie, die hinter der kleinen Ketsch zu sehen war. Er schätzte ihre Geschwindigkeit auf vier Knoten. »Ich denke, wenn wir nicht schnellstens langsamer werden, laufen wir lange vor Sonnenuntergang in den Hafen ein.«
»Soll ich das Toppsegel und die Fock reffen lassen, Kapitän?«, fragte Salvador Catalano.
»Da ist das Beste, was wir tun können. Später wird der Mond hell genug sein.«
Die Schatten wurden länger, bis sie miteinander verschmolzen und die letzten Sonnenstrahlen den westlichen Horizont erhellten. Die Ketsch glitt in die Bucht von Tripolis und näherte sich den imposanten Mauern der Barbareskenstadt. Die aufgehende Mondsichel verlieh den Steinen der Mole, der Festung und der Burg des Paschas einen unheimlichen Schimmer, während die schwarzen Geschützstellungen, die sich auf den Befestigungsanlagen verteilten, für eine Atmosphäre drohender Gefahr sorgten. Über die Mauer hinweg war die schlanke Silhouette eines Minaretts zu erkennen, von dem die Männer der Intrepid kurz vor Sonnenuntergang den Ruf zum Abendgebet vernommen hatten.
Und direkt unterhalb der Burg lag die USS Philadelphia vor Anker. Sie schien sich in einem guten Zustand zu befinden – die Amerikaner konnten erkennen, dass die einst über Bord geworfenen Kanonen geborgen und in ihren jeweiligen Stückpforten wieder aufgestellt worden waren.
Der Anblick des Schiffes erzeugte bei Henry Lafayette widersprüchliche Empfindungen. Zwar war er vom Anblick seiner eleganten Linien und seiner Größe gerührt, doch bei dem Gedanken daran, dass die tripolitanische Flagge über dem Heck flatterte, und dem Wissen, dass die dreihundertsieben Männer ihrer Besatzung als Geiseln im Gefängnis des Paschas saßen, kochte ein ohnmächtiger Zorn in ihm. Ihm wäre nichts lieber gewesen, als dass Decatur seinen Männern den Befehl gegeben hätte, in die Burg einzudringen und die Gefangenen zu befreien. Aber er wusste auch, dass ein solches Unternehmen niemals stattfinden würde. Kommodore Preble, der Kommandant des gesamten Mittelmeer-Geschwaders, hatte unmissverständlich klargemacht, er werde auf keinen Fall das Risiko eingehen, dass weitere amerikanische Gefangene in die Gewalt der Berberpiraten gerieten.
Verteilt im Hafen
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