Karlas Umweg: Roman (German Edition)
die Beziehung zwischen den Geschlechtern vergiften. Es blieb jedoch auch kein Raum für ein tieferes Verständnis zwischen Mann und Frau. Da ich an ein solches aber immer noch glaubte, nahm ich mir gelegentlich vor, doch einmal einen weitergehenden Kontakt herzustellen. Denn die Therapeutin hatte recht: Ich konnte Martha nicht mehr betrügen, ich konnte tun und lassen, was ich wollte, ich konnte Affären und Liebschaften anfangen, wie es mir beliebte.
Freilich, das hatte ich ja schon versucht. Der letzte Annäherungsversuch hatte in einer Kneipe begonnen, nach dem vierten Bier.
Sie war Studentin, mindestens zwanzig Jahre jünger als ich und blieb allein an der Theke sitzen, nachdem ihre Freundinnen gegangen waren. Ich sprach sie an, erzählte ihr – beflügelt vom Alkohol und von ihren braunen, warmen Augen – etwas von Rilke, Trakl und Gottfried Benn, erklärte ihr, wie sehr ich die moderne Lyrik liebte, die Germanistik dagegen hasste, denn die sei die Totengräberin jeglichen unmittelbaren Empfindens, sie forsche nur und taste mit grauen, knöchernen Fingern in jenen erhabenen, schmerzvollen Bildern herum, die die Dichter dem Leben abgerungen hätten, um sie uns zu schenken. Fände ich nun Worte, um das tiefe Gefühl auszudrücken, welches braune, warme Augen in mir auslösten – deine unvergleichlich schönen Augen, die tiefer sind als jedes Meer, das die Nautilus je durchforschte –, fände ich also nun diese Worte, so fuhr ich fort, dann sei die Vorstellung unerträglich, es könnte eines Tages ein Germanist sich darüber hermachen, gleich einem Arzt bei der Autopsie, der zwar den Körper zergliedere, die Seele der Dinge aber nie finden könne.
„Ich brauch jetzt ’nen Wodka“, sagte die Studentin.
Ich gab Bier und Wodka aus und monologisierte weiter. Bald schwenkte ich zu meinem Hauptthema um: Martha.
Die Studentin hörte aufmerksam zu.
Wir waren die letzten Gäste, und während der Wirt aufräumte – er hieß Otto und war mindestens zehn Jahre jünger als ich –, ging ich zur Toilette. Dort erleichterte ich mich und zog für alle Fälle Kondome aus dem Automaten. Denn auch wenn die Studentin dabei war, sich in mich zu verlieben, auch wenn dies der Anfang einer verrückten, großen Liebe war, so wollte ich doch Vorsorge treffen. Schließlich hatte ich schon ein Kind und konnte, zumindest vorerst, kein zweites brauchen.
Als ich zurückkam, küsste die Studentin mich leicht auf die Wange. „Bist echt ’ne arme Sau. Geh mal heim und schlaf dich aus. Wir haben noch was vor, Otto und ich.“
Die Kondome schenkte ich auf meinem einsamen Heimweg einem Penner, der mich anschnorrte.
Er warf sie weg. „Zum Wichsen brauch ich keine Pariser.“
Wenn man allein ist, verletzt, depressiv und Gewohnheitstrinker, sollte man sich davor hüten, von Einzelfällen auf ein allgemeines Muster zu schließen. Es ergibt sich dann leicht eine Vermeidungshaltung, die einen daran hindert, überhaupt noch jemanden kennenzulernen. So hatte meine Therapeutin die Episode mit der Studentin damals kommentiert. Sie hatte mir geraten, lieber auf das Trinken zu verzichten als auf weitere Versuche, eine Frau kennenzulernen.
Im Café bediente mich dieses Mal die junge Frau, die ich besonders hübsch fand. Ich fragte mich, ob ich mir ihr Lächeln mit dem üppigen Trinkgeld erkauft hatte, das ich üblicherweise gab, oder ob sie es vielleicht doch mir als möglichem Liebhaber schenkte. Um das herauszufinden, winkte ich ihr noch einmal und bat um eine weitere Portion Zucker. Sie lächelte wieder.
Kurz nachdem Martha mich verlassen hatte, fing ich an, Bücher über Beziehungen zu lesen, zunächst in dem Glauben, darin stünde irgendein Trick, wie ich Martha wiedergewinnen könnte. Bald stellte ich aber fest, dass ich nichts andres tat, als den Fahrplan zu studieren, nachdem die gemeinsame Reise zu Ende war.
Doch warum sollte es nicht möglich sein, statt der Vergangenheit nachzuhängen, nun geläutert eine neue Reise zu beginnen, zum Beispiel mit der hübschen Bedienung? In diesen Büchern war immer wieder die Rede davon, wie wichtig die positiven Fantasien seien, die man sich zu Beginn einer Beziehung vom Partner macht. Nur welche positiven Fantasien, einmal abgesehen von der Form ihrer Brüste, die sich unter der Bluse abzeichneten, und dem Farbton ihrer Höfe, konnte ich mir machen von einer Frau, die nichts anderes tat, als mir Butterbrezen zu servieren und zu lächeln?
Ich dachte mir eine Geschichte aus, ihre Geschichte, gab
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