Karwoche
Polizisten ihnen zu sagen hatten.
»Sie denken also«, begann Mike, »dass Ihr Mann Ihre Tochter erschossen hat. Wir sind da nicht ganz so sicher. Aber wir glauben zumindest, dass der Mörder sich hier im Raum befindet.« Mike sah in die Runde. Außer Dieter Millruth hatte keiner das Bedürfnis, Mike in die Augen zu sehen. »Frau Millruth geht, wie gesagt, davon aus, dass es ihr Mann war. Hat jemand eine andere Vermutung?«
Da niemand antwortete, wertete Mike das als ein Nein.
»Nun – wir haben noch einmal gründlich nachgedacht. Was dabei herausgekommen ist, wird Ihnen Kriminalhauptkommissar Wallner berichten. Der ist zwar im Urlaub, aber psychologisch beschlagener als ich.«
»Das augenfälligste Motiv«, begann Wallner ohne weitere Einleitung, »hatte sicher Herr Dieter Millruth. Er war von seiner Tochter beschuldigt worden, sie im Kindesalter missbraucht zu haben. Wäre sie damit an die Öffentlichkeit gegangen oder hätte es gar einen Strafprozess gegeben, wäre es das Ende seiner Schauspielkarriere gewesen und vermutlich sein Ruin in allen Belangen.«
Dieter Millruth wollte etwas einwenden, aber Wallner bremste ihn mit einer Handbewegung. »Hören Sie einfach zu. Ich stelle keine Behauptungen auf, sondern zeige nur die verschiedenen Möglichkeiten auf.«
Dieter Millruth lehnte sich in seinem Sessel zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Adrian Millruth hatte noch am Heiligen Abend gefordert, etwas dagegen zu unternehmen, dass Leni die Familie zerstört. Sie sind«, er wandte sich an Adrian, »soweit ich das beurteilen kann, ein Mensch, dem die Familie viel bedeutet. Vielleicht wollten Sie die Familie vor Ihrer Schwester schützen. Sie hatten viel getrunken. Waren möglicherweise nicht mehr ganz Herr Ihrer Handlungen.«
Adrian sah Wallner ohne sichtbare Gefühlsregung in die Augen.
»Oder nehmen wir Sie«, Wallner fixierte Henry Millruth. »Ich glaube, Sie haben eine relativ gute Beziehung zu Ihrem Vater. Sie wollten sicher nicht, dass er ins Gefängnis geht. Am Ende für etwas, das nur der bekanntermaßen lebhaften Phantasie Ihrer kleinen Schwester entsprungen war. Sie haben in der Nacht noch versucht, Ihre Schwester umzustimmen. Mit Ihnen sprach sie eher als mit Ihrem Bruder. Aber Leni wollte davon nichts wissen, wurde aggressiv und ausfällig gegen Sie und Ihren Vater. Da ist es mit Ihnen durchgegangen …«
Henry schüttelte den Kopf.
»Nur ein denkbares Szenario. Ebenso denkbar, dass
Sie
die Familie schützen wollten.« Wolfgang Millruth war an der Reihe. »Wenn das alles hier auseinandergebrochen wäre, wenn Ihr Bruder ins Gefängnis gekommen wäre und Frau Millruth kein Geld mehr verdient hätte, dann wäre es auch an Ihre eigene Existenz gegangen. Denn Sie haben nichts als diese Familie und dieses Heim.«
»Danke, dass Sie mich dran erinnern.«
»Nehmen Sie es nicht persönlich. Es ist nur eine Art Brainstorming. Kommen wir schließlich zu Ihnen, Frau Millruth. Auch Ihnen geht die Familie über alles. Andererseits – welche Mutter würde die eigene Tochter erschießen, um die Familie zu erhalten? Obwohl die Nerven blank lagen. Gehen Sie auch auf die Jagd?«
»Nein. Ich gehe manchmal mit. Aber ich schieße nicht.«
»Dann sind Sie von allen Anwesenden am wenigsten mit Waffen vertraut. Vielleicht war es ja ein Unfall.«
»Ich habe meine Tochter nicht getötet.«
»Hab ich auch nicht behauptet. Die angestellten Spekulationen gelten natürlich für den Fall, dass Dieter Millruth tatsächlich vor zwölf Jahren seine Tochter missbraucht hat. Ob das wahr ist, wissen wir nicht. Sollte jemand anderer aus der Familie den Missbrauch begangen haben, dann ergäbe sich daraus ein ganz eigenes Motiv. Und immerhin haben wir hier im Raum drei weitere männliche Familienmitglieder versammelt, die zu der Zeit, als der Missbrauch stattfand, erwachsen waren. Hatte etwa Wolfgang Millruth eine unbekannte Neigung, die auch seine Geliebte nicht kannte?«
Katharina Millruth sah zweifelnd zu ihrem Schwager.
»Adrian hat, wie man hört, großen Erfolg beim anderen Geschlecht. War sein Trieb so stark, dass er selbst vor seiner eigenen Schwester nicht haltmachte? Auf der anderen Seite Henry, der sich mit Frauen schwertat. Musste er sich in Ermangelung von Alternativen an seiner Schwester vergreifen? Frau Millruth lasse ich in diesem Zusammenhang mal außen vor.«
Wallner machte eine kurze Pause, um nachzudenken.
»Bemerkenswert wäre in diesem Fall natürlich der Umstand, dass Leni ihren Vater
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