Karwoche
den Vera neben sich abgestellt hatte, und trank ihn aus. Sie atmete gleichmäßig und tief. Wallner empfand Wärme, Frieden und Glück bei ihrem Anblick und war bereit, für immer so sitzen zu bleiben. Ein Bett mit einem unter einer Decke verborgenen Körper wurde vorbeigeschoben. Wallner fragte sich, ob es Christian war.
»Da seids ja!«, sagte jemand. Es war Manfred, den Wallner vom Auto aus angerufen hatte. Vera erwachte und blinzelte Manfred an.
»Hallo Manfred. Was machst du denn hier?«
»Ich hab gedacht, ich schau, ob ich mich nützlich machen kann. Kaffee holen oder so was. Oder einfach aufpassen, ob er aufwacht. Ich weiß noch, wie das bei meinem Vater war.«
»Das ist lieb«, sagte Vera. »Aber es ist schon vorbei.«
»Oh – ist der Christian schon …?«
»Ja. Ihm geht’s jetzt besser.« Sie sah sich um. Die Beleuchtung war ungemütlich, und draußen war Nacht. »Wollen wir spazieren gehen?«
Sie gingen eine Weile, nicht zu schnell und nicht zu weit. Manfred war nicht mehr gut zu Fuß. Am Friedensengel setzten sie sich auf eine Parkbank. Einige Zeit sagte niemand etwas, bis Vera das Wort ergriff.
»Passt auf: Vielleicht ist es ein merkwürdiger Zeitpunkt, um euch das zu sagen. Aber irgendwie habe ich das Bedürfnis, es zu tun. Und wer weiß schon, wann der ideale Zeitpunkt für eine solche Nachricht ist. Ich meine, immerhin ist es ein lauer Frühlingsabend. Insofern ist der Zeitpunkt nicht vollkommen unpassend. Wenn, wie gesagt, das mit Christian nicht wäre. Oje, ich merke, dass ich müde bin und haarsträubenden Unsinn rede. Deshalb sollte ich langsam loswerden, was ich euch sagen will. Es handelt sich eigentlich nur um Folgendes: Ich … genauer gesagt, wir kriegen ein Kind.«
Wallner und auch Manfred wischten, nachdem sie begriffen hatten, was Vera gesagt hatte, rasch ein paar Tränen weg. Wallner behauptete, es sei die Anspannung der letzten Tage, die von ihm abfalle. So recht glauben wollte ihm das keiner.
Epilog
Wolfgang Millruths Geständnis – Auszüge:
… Mein Verhältnis zu Hanna Lohwerk kann man als freundschaftlich bezeichnen. Ich denke, wir mochten und verstanden uns, weil wir in einer ähnlichen Lage waren: beide abhängig vom Wohlwollen der Familie Millruth, beide mit der Familie verbunden, aber nicht wirklich dazugehörig. Es war etwa im Februar, als sie anfing, mich über Weihnachten auszuhorchen. Ich wurde misstrauisch und habe mir Zugang zu ihrer Wohnung verschafft, um auf ihrem Computer die E-Mails zu lesen. Da waren auch Mails, die sie an Henrys Ex-Freundin Jennifer Loibl geschrieen hatte. Aus ihnen ging hervor, dass die Frauen Lenis Plüschlamm bei unserem ehemaligen Au-pair-Mädchen in Rumänien aufgetrieben hatten. Ich hatte damals ein Polaroidbild von meiner Nichte gemacht. Kurz darauf war sie verstört aus dem Haus gelaufen und Hanna Lohwerk direkt vor den Wagen. In dem Chaos nach dem Unfall ist Leni wohl zurückgegangen und hat das Foto an sich genommen. Ich konnte es jedenfalls nicht mehr finden. Seit Weihnachten war mir klar, dass sie das Foto in dem Lamm versteckt hatte.
… Hanna Lohwerk brauchte Geld für eine Schönheitsoperation in Amerika. Sie würde daher ohne Rücksicht Gebrauch von dem Foto machen. In der Nacht zum Gründonnerstag habe ich sie mit dem Wagen verfolgt und hatte vor, sie bei passender Gelegenheit zu töten. Etwa zwischen einundzwanzig und zweiundzwanzig Uhr fuhr sie zur Spedition des Kilian Raubert. Hanna Lohwerks Besuch in der Spedition war von einer Überwachungskamera aufgenommen worden. Ich hielt das für eine günstige Gelegenheit, den Verdacht auf Kilian Raubert zu lenken.
… Nachdem ich Hanna Lohwerk getötet und ihren Computer an mich genommen hatte, fuhr ich mit der Leiche zur Spedition zurück und legte sie in den Laderaum eines Lieferwagens. Vorher hatte ich das Kabel der Videokamera durchtrennt. Es war mir bewusst, dass man als Mörder eine Leiche kaum im eigenen Wagen verstecken würde. Aber die wahre Erklärung für die Leiche im Lieferwagen wäre so abwegig, dass wohl niemand darauf kommen würde.
… Sofia Popescu habe ich am Dienstag vor Ostern getötet. Sie hat wohl geahnt, dass ich etwas mit dem Tod meiner Nichte zu tun hatte, und wollte zur Polizei gehen.
… Es ist mir heute unbegreiflich, dass ich Leni erschossen habe, den Menschen, der mir in meinem gesamten Leben am meisten bedeutet hat. Aber meine Angst war damals übermächtig. Die Angst, dass eines Tages ihre Erinnerung zurückkehrt. Es war
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