Kastner, Erich
vergnügt, schimpfte ein bißchen über den Juli, das tut er fast jedes Jahr, und hatte es eilig. Während er ein Radieschen aus dem Beete zog, bemäkelte er meine Bohnenblüten, seine Schuld sei es nicht, und lobte die Dahlien und die Tomaten. Dann biß er herzhaft in sein Radieschen und spuckte es wieder aus. Es war holzig. »Probieren Sie ein andres!« sagte ich. Doch da sprang er schon über den Zaun, und ich hörte nur noch, wie er rief: »Grüßen Sie den September! Er soll mich nicht blamieren!« »Ich werd’s ausrichten!« rief ich zurück. Die Monate haben es eilig.
Die Jahre haben es noch eiliger. Und die Jahrzehnte haben es am eiligsten. Nur die Erinnerungen haben Geduld mit uns. Besonders dann, wenn wir mit ihnen Geduld haben.
Es gibt Erinnerungen, die man, wie einen Schatz in Kriegszeiten, so gut vergräbt, daß man selber sie nicht wiederfindet. Und es gibt andere Erinnerungen, die man wie Glückspfennige immer bei sich trägt. Sie haben ihren Wert nur für uns. Und wem wir sie, stolz und verstohlen, zeigen, der sagt womöglich: »Herrje, ein Pfennig! Sowas heben Sie sich auf? Warum sammeln Sie Grünspan?«
Zwischen unseren Erinnerungen und fremden Ohren sind mancherlei Mißverständnisse möglich. Das merkte ich neulich, als ich abends auf der Terrasse meinen vier Katzen ein paar Kapitel vorlas.
Das heißt, Anna, die Jüngste, schwarzer Frack mit weißem Hemd, hörte nicht lange zu. Sie versteht Vorgelesenes noch nicht. Sie kletterte auf eine der Eschen, blieb in der Baumgabel sitzen und sah wie ein kleiner Oberkellner aus, der eine alberne Wette gewinnen möchte.
Pola, Butschi und Lollo hörten sich die Vorlesung geduldiger an. Manchmal schnurrten sie. Manchmal gähnten sie, leider ohne die Pfote vorzuhalten. Pola kratzte sich ein paarmal hinterm Ohr. Und als ich, leicht nervös, das Manuskript zugeklappt und auf den Tisch gelegt hatte, sagte sie: »Den Abschnitt über das Waschhaus, das Wäschelegen und die Wäschemangel beim Bäcker Ziesche sollten Sie weglassen.«
»Warum?« fragte ich. Meine Stimme klang etwas ungehalten. Denn mein Herz hängt an all den Zeremonien, die schmutzige Wäsche in frische, glatte, duftende Stücke zurückverwandeln. Wie oft hatte ich meiner Mutter bei fast jedem Handgriff geholfen! Die Wäscheleinen, die Wäscheklammern, der Wäschekorb, die Sonne und der Wind auf dem Trockenplatz beim Kohlenhändler Wendt in der Scheunhofstraße, das Besprengen der Bettücher, bevor sie auf die Docke gerollt würden, das Quietschen und Kippen der elefantenhaften Mangel, das Zurückschlagen und Abfangen der Kurbel, die ganze weiße Wäschewelt sollte ich vernichten? Wegen einer schwarzen Angorakatze?
»Pola hat vollkommen recht«, sagte Butschi, der vierzehn Pfund schwere grauhaarige Kater. »Lassen Sie die weiße Wäsche weg! Sonst legen wir uns drauf, und dann schimpfen Sie.« »Oder Sie hauen uns wieder, bis Ihnen der Arm wehtut«, meinte Lollo, die persische Dame, pikiert. »Ich haue euch, bis mir der Arm wehtut?« fragte ich empört. »Nein«, gab Pola zur Antwort, »aber Sie drohen uns immer damit, und das ist genau so schlimm.«
»Lassen Sie die blütenweiße Wäsche fort!« sagte Butschi und klopfte energisch mit dem Schweif auf die Terrassenziegel. »Sonst gibt es wieder Ärger«, erklärte Lollo, »wie neulich wegen Ihrer schönen weißen Hemden.
Daß die Schranktür offenstand und daß es vorm Haus geregnet hatte, war ja schließlich nicht unsre Schuld!«
»Um alles in der Welt!« rief ich. »Zwischen wirklicher und geschriebener Wäsche ist doch ein Unterschied!
Wirkliche Katzen, so dreckig sie aus dem Regen kommen, können sich doch nicht auf geschriebene Wäsche legen!«
»Das sind Haarspaltereien«, meinte Pola und begann sich zu putzen. Lollo starrte mich aus ihren goldgelben Augen an und sagte gelangweilt: »Typisch Mensch! Wäsche ist Wäsche. Und Schläge sind Schläge. Uns Katzen können Sie nichts vormachen.«
Dann dehnten sich alle drei und spazierten in die Wiese.
Butschi drehte sich noch einmal um und meinte: »Wenn wenigstens Mäuse in Ihrem Buche vorkämen! Ich fresse auch geschriebene! Aber die Menschen sind nett und rücksichtslos. Das ist für Katzen nichts Neues.« Auf halbem Wege machte er wieder kehrt. »Ich komme heute nacht etwas später«, teilte er mit. »Es ist Vollmond.
Machen Sie sich meinetwegen keine unnötigen Sorgen!«
Nun war auch er verschwunden. Nur die Grashalme, die sich über ihm bewegten, verrieten, wohin er ging. Drei
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