Katakomben (van den Berg)
er
aufmerksam die Liste, in der ein Dutzend Mädchennamen aufgeführt waren. Wie
immer sah er aus wie aus dem Ei gepellt: olivfarbener eleganter Anzug, graues
Seidenhemd, teure Schuhe – alles nach Maß gefertigt. Entschlossen griff er nach
seinem Notebook. Eigentlich hatte er für moderne Kommunikationsmittel nicht
viel übrig, aber man konnte halt nur schlecht auf sie verzichten. Der Computer
stand neben einem ultraflachen Smartphone auf dem frisch polierten Glastisch. Wichtige
Dinge besprach Hugo nicht am Telefon. Seine Angst, abgehört zu werden, war zu
groß, auch wenn es keinerlei Anhaltspunkte dafür gab, dass man ihn schon einmal
angezapft hatte. Hugos E-Mail bestand aus nur einem einzigen Satz. „Morgen, 20
Uhr.“
Van
den Berg hatte in der Nacht wieder nicht viel geschlafen. Um acht Uhr saß er in
seiner großen, geschmackvoll eingerichteten Altbauküche und schob zwei Scheiben
Weißbrot in den schicken Toaster. Er hatte die Elektrogeräte vor ein paar
Jahren günstig bei einem Lagerverkauf erworben. Die modernen weißen
Einbauelemente hatte er geschickt mit alten provenzalischen Schränken und einem
massiven Holztisch kombiniert. Er überlegte, ob er rausgehen und sein Frühstück
bei Renard holen sollte. Das Traditionsgeschäft an der Chaussee d`Ixelles hatte
den Ruf, die besten Torten und das feinste Gebäck in Ixelles herzustellen. An
diesem Morgen konnte sich der Kommissar nicht dazu aufraffen. Verbissen
knabberte er an trockenen Toastscheiben und spülte sie mit Kaffee herunter, den
er schwarz mit ein wenig Zucker trank. Der Polizist ließ sich auf das alte Chesterfieldsofa
fallen und legte die Smiths auf: „Bigmouth Strikes Again “.
Er dachte zurück an die wilden Achtziger, in denen er mit seinen Freunden durch
die Straßen Gents gezogen war. Nie im Leben hätte er damals daran gedacht,
Polizist zu werden. Auf Gesetze hatten er und seine Kumpels gepfiffen. Sie
kifften so oft es ging und sie sprühten Graffiti mit den Namen ihrer
Lieblingsbands an graue Fabrikmauern. Nachts fuhren sie zugedröhnt und ziellos
durch die Gegend. Der Dienst bei der Armee hatte van den Berg gründlich
umgekrempelt. Da hatte er sich vorgenommen, sein Leben zu ändern, Gas zu geben.
Und er wollte Macht haben. Als Polizist konnte er die Hebel bewegen, wie es ihm
beliebte, wenn er böse Jungs jagte. Aber er musste sich unterordnen, was er
hasste. In seinen ersten Jahren bei der Polizei war er regelmäßig mit seinen
Vorgesetzten aneinandergeraten. Aber er hatte mächtige Fürsprecher im
Präsidium, die sein kriminalistisches Talent erkannten und ihn förderten. Vor
allem Henk Wouters, ein Kommissar der alten Schule, hatte van den Berg nach
Kräften gefördert, auch wenn der ihm immer eine Spur zu eitel war. Keiner der
anderen jungen Polizisten hatte van den Bergs Spürnase und schon gar nicht
dessen Willen. Mittlerweile ließ sich van den Berg nicht mehr herumkommandieren.
Er fand immer irgendeinen Weg, seinen Kopf durchzusetzen. Was hatten ihn die
Schreiberlinge von den bluttriefenden Boulevardblättern genervt, die keine
Gelegenheit ungenutzt ließen, ihn zu einem Versager zu stempeln. Denn er weigerte
sich, mit ihnen zu kooperieren. Die langatmigen Diskussionen mit Kollegen und
Staatsanwälten hatten ihn beinahe zermürbt. Doch inzwischen kannte er die
Spielregeln. Er wusste, wie er alle nach seiner Pfeife tanzen lassen konnte.
Vor drei Jahren hatte van den Berg zum letzten Mal großen Ärger bekommen, als
er bei einem Verhör nach einer sehr speziellen Methode vorging. Eine ganze
Nacht lang hatte er den Mordverdächtigen mit grellen Scheinwerfern geblendet. Das
so erreichte Geständnis hatte das Gericht nicht zugelassen und der Kommissar
musste es sich gefallen lassen, dass ihn der Polizeipräsident verbal in den
Boden rammte. Seitdem war er wachsam und überschritt die hausinternen Grenzen
nur noch dann, wenn man ihm nichts nachweisen konnte.
2
Das
tote Mädchen weckte seine Kampfeslust, während er auf die Straße herunterschaute.
Amüsiert beobachtete er eine junge Frau, die versuchte, ihren alten VW-Golf in
eine Parklücke zu manövrieren und nach fünf Versuchen entnervt aufgab. Van den
Berg schlüpfte in ein khakifarbenes T-Shirt, nahm seine braune Kapuzenlederjacke
vom Sofa und sprang in seinen MG. Er trug fast immer Bluejeans, seine 44er-Füße
steckten wahlweise in schwarzen Sneakers oder rustikalen braunen Lederschuhen.
Im Kommissariat
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