Katakomben (van den Berg)
„Was, wie …?“ Die Polizisten
ließen Hugo mit seiner Frage allein.
Van
den Berg dachte an Eric Deflandre. Wie konnte es sein, dass er seinen langjährigen
Partner so falsch eingeschätzt hatte? Ihm fiel ein, wie zynisch er oft gewesen
war. Van den Berg hatte die Sprüche immer als derben Humor eingestuft. Warum
war Deflandre den Pakt mit dem Teufel eingegangen? Waren es nur die
Verlockungen des Geldes, denen er nicht widerstehen konnte? War er ein
skrupelloses Schwein? Hatte er vielleicht sogar Spaß daran, junge Mädchen zu
quälen, dabei zu sein, wenn sie starben? Hatte es überhaupt eine Chance gegeben,
Eric von seinem Höllentrip abzubringen? Er wusste es nicht, er würde wohl nie
erfahren, was im Moment des Seitenwechsels in Deflandre vorgegangen war. Der
Kommissar dachte daran, wie schwer er sich selbst tat, von seinen Lastern loszukommen.
Wie oft hatte Marie versucht, ihn von seiner Wettsucht abzubringen, mit welchem
Eifer versuchte seine Mutter zu verhindern, dass er ständig Süßes in sich
reinstopfte. Aber all das ließ sich nicht mit dem dunklen Weg vergleichen, den
Eric eingeschlagen hatte. Noch einmal dachte er an Marie, jetzt war ihm
endgültig klar, dass es aus war. Bei ihrem letzten Telefongespräch war sie zu
ihm auf Distanz gegangen. Sie hatte ihm klargemacht, dass sie ihn nicht mehr sehen
wollte. Der Kommissar hatte keine Energie mehr, es noch einmal zu versuchen.
Als
van den Berg das Haus verließ, warf er einen schnellen Blick in seinen
Briefkasten. Er wollte ihn schon wieder schließen, als er die Postkarte
entdeckte. Sie trug keine Briefmarke, jemand musste sie eigenhändig eingeworfen
haben. „Es tut mir leid“, stand da in großen Buchstaben. Er drehte die Karte um
und starrte auf die glänzenden Kugeln des Atomiums. Erst kam ihm Marie in den
Sinn, aber im gleichen Moment fiel ihm auf, dass die Schrift eine ganz andere
war. Langsam dämmerte ihm, wer die Worte geschrieben hatte.
Der
Kommissar ging zu Marcolini und kaufte sich eine Schachtel Pralinen mit
Himbeerfüllung. Er setzte sich ins Perroquet am Place du Grand Sablon und aß
die himmlischen Stückchen mit großem Appetit zu seinem Milchcafé. Ihm fiel auf,
dass es nur noch vier Tage bis zum Heiligen Abend waren. Wie in jedem Jahr
würde er zu seinen Eltern fahren, die in der Nähe von Gent ein hübsches altes
Häuschen besaßen. Er überlegte, was er ihnen schenken sollte und beschloss,
ihnen wieder Bücher mitzubringen. Weihnachten war die einzige Zeit im Jahr, in
der er richtig abschalten konnte. Der Besuch bei seiner Familie war für ihn
eine Reise in die Vergangenheit. Er fühlte sich dann, als sei er in seine Kindheit
zurückgekehrt, seine Probleme waren dann fünfzig Kilometer weit weg.
Van
den Berg schaute aus dem Fenster und beobachtete, wie die ersten Schneeflocken
vom Himmel fielen. Dann erspähte er eine junge Frau, die in einem langen
braunen Mantel quer über den Platz lief. Ein wohliges Kribbeln durchzog seinen
Körper. Als er ihr Gesicht sah, lächelte er.
Vielen
Dank an Frank Nulischk und Christian Maaß für ihre großartige
Unterstützung.
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