Katz und Maus
war. Hätte ja bei uns was Eßbares holen können. Dachte aber: Wozu hat er seine Familie? War auch neugierig auf die Tante. Wurde enttäuscht. Sie stand hinter der Küchenschürze und stellte keine Fragen. Durch offene Türen roch es nach etwas, das stumpfe Zähne machte: bei Mahlkes wurde Rhabarber eingekocht. »Wir wolln für Joachim ne kleine Feier veranstalten. Trinkbares haben wir genug, aber falls wir Hunger bekommen . . .« Wortlos holte sie zwei Kilobüchsen Schmalzfleisch aus der Küche, brachte auch einen Büchsenöffner mit. War aber nicht der gleiche, den Mahlke aus dem Kahn hochgeholt hatte, als er die Froschschenkeldosen in der Kombüse fand.
Während sie holte und hin und her überlegte – die Mahlkes hatten immer die Schränke voll, hatten Verwandte auf dem Land und mußten nur zugreifen – stand ich auf unruhigen Beinen im Korridor und guckte mir jenes Querformat an, das Mahlkes Vater mit dem Heizer Labuda zeigte. Die Maschine stand nicht unter Dampf. Als die Tante mit einem Einkaufsnetz und Zeitungspapier für die Konservendosen zurückkam, sagte sie: »Ond wennä ässen wolld vom Schmalzflaisch, misst ä ärst warmmachen besschen. Is sonst zu mächtich ond blaibt of Magen liejen.«
Falls ich beim Weggehen fragte, ob jemand dagewesen wäre und nach Joachim gefragt hätte, würde mir die Frage mit Nein beantwortet. Aber ich fragte nicht, sondern sagte in der Tür: »Schönen Gruß von Joachim soll ich bestellen,« obgleich Mahlke mir keinen Gruß, nicht mal an seine Mutter aufgetragen hatte.
Auch er war nicht neugierig, als ich wieder zwischen den Schrebergärten im gleichen Regen vor seiner Uniform stand, das Netz an eine Zaunlatte hängte und mir die abgeschnürten Finger rieb. Immer noch tilgte er unreife Stachelbeeren und zwang mich, gleich seiner Tante, um sein leibliches Wohlbefinden besorgt zu sein: »Du wirst Dir noch den Magen verkorksen!« aber Mahlke raffte, nachdem ich »Gehn wir« gesagt hatte, drei Hände voll aus tropfenden Sträuchern, füllte die Hosentaschen und spuckte, während wir um Neuschottland und die Siedlung zwischen Wolfsweg und Bärenweg einen Bogen schlugen, harte Stachelbeerschlauben vor sich hin. Als wir auf dem hinteren Perron des Straßenbahnanhängers standen, und linker Hand der Flugplatz im Regen lag, fraß er das Zeug immer noch in sich hinein.
Er reizte mich mit Stachelbeeren. Auch ließ der Regen nach. Das Grau wurde milchig, machte Lust, auszusteigen und ihn mit Stachelbeeren alleine zu lassen. Ich sagte aber nur: »Bei Euch zu Hause haben sie schon zweimal nach Dir gefragt. Waren welche in Zivil.« »So?« Mahlke spuckte weiterhin Schlauben auf den Lattenrostboden des Perrons. »Und meine Mutter? Ahnt sie was?« »Deine Mutter war nicht da, nur Deine Tante.« »Wird Einkaufen gewesen sein.« »Glaube kaum.«
»Dann war sie bei Schielkes und hat Bügeln geholfen.« »War sie auch nicht, leider.« »Wülste paar Stachelbeeren?«
»Abgeholt wurde sie, nach Hochstrieß. Wollte es Dir eigentlich nicht sagen.«
Erst kurz vor Brösen gingen Mahlke die Stachelbeeren aus. Aber er suchte noch in beiden durchnäßten Taschen, als wir schon über einen Strand liefen, den der Regen gemustert hatte. Und als der Große Mahlke hörte, wie die See den Strand klatschte und mit Augen die Ostsee sah, auch die Kulisse des Kahns weit draußen und die Schatten einiger Pötte auf der Reede, sagte er – und der Horizont machte ihm einen Strich durch beide Pupillen –: »Ich kann nicht schwimmen.« Dabei hatte ich mir schon Schuhe und Hosen ausgezogen.
»Nu fang keine Geschichten an.«
»Wirklich nicht, ich hab Bauchschmerzen. Die verdammten Stachelbeeren.«
Da fluchte ich und suchte und fluchte und fand eine Mark in der Jackentasche, auch ein bißchen Kleingeld. Damit lief ich nach Brösen und lieh beim alten Kreft ein Boot für zwei Stunden. Das war gar nicht so leicht, wie es sich hinschreibt, obgleich Kreft nur wenige Fragen stellte und mir half, das Boot flottzubekommen. Als ich das Boot wieder auflaufen ließ, lag Mahlke im Sand und wälzte sich und seine Panzeruniform. Ich mußte ihn treten, damit er auf die Beine kam. Er zitterte, produzierte Schweiß, drückte sich beide Fäuste in die Magengrube; aber ich kann ihm heute noch nicht die Bauchschmerzen glauben, trotz unreifer Stachelbeeren auf nüchternen Magen.
»Geh mal in die Dünen, nun los, geh schon!« Er ging krumm, machte Schleifspuren und verschwand hinterm Strandhafer. Vielleicht hätte ich sein Käppi sehen
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