Katzenmond
Meinung nach bewies es nur, dass er sich schuldig fühlte, nicht, dass er es war. Doch dann hatten Beamte in seinem Kleiderschrank Constanzes Handy gefunden und das Kartenhaus ihrer Hoffnungen zum Einsturz gebracht. Die Fingerabdrücke, die man kurz darauf von Kaisers Computer gezogen hatte, waren schon beinahe obsolet gewesen.
Noch während Liebermann überlegte, ob Laura es begrüßen oder schrecklich finden würde, wenn er sich für eine Weile zu ihr setzte, trat ein dickes Mädchen zu ihr und reichte ihr ein Glas.
»Meine Maren«, sagte Frank, der herangeschlendert kam. »Immer einen Finger am Puls. So, und jetzt schiebt euch mal ein bisschen zusammen und guckt wie Menschen, die schon mal was Schönes erlebt haben.« Er hob eine winzige Kamera. Liebermann zog Nico zu sich.
Die Idee mit den Fotos stammte von Jürgen. Sie sollten Frank den Abschied erleichtern. Nach einem feuchten Abend unter alten Freunden hatte er beschlossen, seine Bar in diesem Jahr vorfristig zu schließen, um Jürgen im Katinka zur Hand zu gehen, bis jener einen würdigen Nachfolger für David gefunden hatte.
Im Moment nahm Jürgen ausnahmsweise seinen Platz hinter dem Zapfhahn der Strandbar ein. Auf seinem T-Shirt prangte, für jeden sichtbar, der übergroße Druck eines Ultraschallbildes. Nico fand es geschmacklos, Liebermann rührte die Vorfreude des Riesen.
»Hast du Miri der Welt auch mit Armknospen und Dottersack vorgestellt?«
»Das da hat schon Arme. Und bei Miri war es etwas anderes.«
Nico sah ihn forschend an. »Inwiefern?«
»In jeder Hinsicht«, entgegnete Liebermann ausweichend.
»Und jetzt? Würdest du dich jetzt über ein Paar zusätzlicher Armknospen im Viertel freuen, aus denen vielleicht irgendwann lange, elastische Finger sprießen?« Sie besah ihre Hände. »Na ja, oder kurze, quadratische. Oder fünf lange und fünf quadratische.«
Liebermann grinste. »Eine interessante Vorstellung. Ich werde darüber nachdenken.«
»Gut.«
Es lag etwas in ihrem Ton, das ihm nicht behagte.
Und auf einmal überkam ihn ein Gefühl, als hätte Müller noch einmal ausgeholt und seinen Magen getroffen. »Nico …«, murmelte er, dann traten seine Stimmbänder in Streik.
Ein Kind. Um Himmels willen, ein Kind! Fieberhaft begann Liebermann zu rechnen. Gab es wieder auf, weil er Nicos Zyklus nicht im Blick hatte. Dafür fiel ihm jener Morgen ein, an dem sie über ihn hinweg zur Toilette gestolpert war. Ihre Stimmungsschwankungen, nicht ganz so heftig wie bei Thekla, aber doch. Ihre gewachsenen Brüste. Er räusperte sich. »Bist du sicher?«
Sie zuckte die Achseln. »So sicher, wie man sein kann, ohne einen Test gemacht zu haben.«
Es bestand also noch Hoffnung. Eine verschwindend geringe Hoffnung zugegeben, bei dieser Zahl von Anzeichen.
»Du willst das Kind nicht«, stellte sie fest.
»Doch, nur … Ich finde es … also … etwas früh. Wenn man bedenkt, dass wir uns vor einem halben Jahr noch nicht einmal kannten.«
Ihr Blick zog sich zusammen. »Und nun fürchtest du, dass wir uns in einem halben Jahr auch nicht mehr kennen?«
Hilflos ruderte Liebermann mit den Armen. »Mein Gott, nein.«
»Dann verstehe ich nicht, worauf du wartest. Was sollte später anders sein als heute? Außer dass wir älter sind und uns womöglich Gedanken darüber machen, ob wir dem Kind zwei pubertierende Schwestern zumuten wollen. Verstehst du, Hendrik, es ist keine Frage der Zeit.«
Darauf wusste Liebermann nichts zu erwidern. Was auch, sie hatte recht. Und doch spielte Zeit eine elementare Rolle. Er brauchte Zeit, um sich auf den Schock einzustellen. Um seine Ängste abzuwerfen und sie vielleicht – wenn es denn möglich war – in einen Bruchteil von Nicos Entschlossenheit zu verwandeln. Zeit, sich von der Vorstellung zu verabschieden, dass ihre gegenwärtige Beziehung optimal war, denn das war sie nicht. Sie war bequem. Sie hatten zwei Wohnungen, von denen sie eine würden aufgeben müssen. Keine Fluchtmöglichkeit mehr vor dem kratzigen kleinen Monster. Wobei: »Schwangerschaften vertragen sich nicht mit Katzen.« Das wusste er von Thekla.
»Außer«, erwiderte sie, »wenn man, wie ich, schon Antikörper gegen Toxoplasmose ausgebildet hat. Du kannst aufhören, mit der Lupe nach Problemen zu suchen. Ich hab’s verstanden.«
Sie ließ Liebermann stehen und ging zu Laura und Maren. Maren sagte etwas, und Laura lachte. Zum ersten Mal seit Wochen. Es gab Liebermann einen Stich. So wollte er Nico sehen, lachend. Stattdessen tat er gerade
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