Kauft Leute
zurücktreten wollten. Caro und Lars nutzten die allgemeine Aufregung in der Beratungszone und verschafften sich Zutritt zum Archiv. Lars wies Caro an, sich vor den Computer zu setzen. Der Monitor sprang an, und das System verlangte nach Stichworten zur Suche. Lars gab einen Namen ein, dazu einen Beruf: Radiomoderator.
1 Suchergebnis
.
Der Mann wurde von einem Unternehmen angeboten, das sich »Lebenskünstler« nannte und Menschen vermittelte, die
mit ihrem Freigeist und ihrer kompromisslosen Liebe zum Leben an finanzielle und gesellschaftliche Grenzen gestoßen waren
.
Ein Foto wurde geladen. Ein Mann, der seine langen grauen Haare im Nacken zusammengebunden hatte. Sein Entertainer-Lächeln entblößte große unregelmäßige Zähne, seine Koteletten zogen sich tief in die Wangengegend hinein. Er trug einen Ring im linken Ohrläppchen und ein T-Shirt des Singer/Songwriters und Aktivisten Billy Bragg mit der Aufschrift
Milkman of Human Kindness
.
Der Text darunter verriet, dass er in Vorarlberg geboren und als junger Mann nach Wien gezogen war. Dann kam die übliche geschönte Auflistung beruflicher Leistungen, aus der man den Fleiß und die Fantasie des Texters herauslesen konnte.
Caro starrte das Foto an und versuchte es in Einklang mit ihrer eigenen Spiegelung im Computerbildschirm zu bringen. Sie hatte weder das mächtige Gebiss noch die leicht schiefe und knorrige Nase dieses Mannes, aber andere Merkmale schienen zu passen. Die Augen zum Beispiel. Oder die hohe Stirn und das feste Haar. Die Ohrläppchen, die ein bisschen vom restlichen Ohr abstanden.
Aber etwas anderes schien ihr von noch größerer Bedeutung zu sein: Ihre Mutter liebte Typen wie diesen.
»Das ist er«, sagte Lars.
»Ja, das ist er«, bestätigte Caro.
»Ich glaube, du hast jetzt drei Möglichkeiten: Wir schalten den Computer wieder aus und tun so, als hätten wir diesen Namen nie gelesen und dieses Gesicht nie gesehen. Dann bleibt alles beim Alten, im Guten wie im Schlechten. Oder du befreist diesen Mann aus seiner gewiss unangenehmen Lage in dem Asbest-Hotel, wo die
Lebenskünstler
auf Kunden warten, und siedelst ihn in die schöne neue große Wohnung um, die dir Danesita bestimmt schon angeboten hat, und ihr lernt euch endlich kennen. Vater und Tochter, unter einem Dach. Oder aber, das ist die dritte Möglichkeit, du bezahlst für ihn, ich hole ihn mit meinem Bus ab und fahre ihn dorthin, wo er hin möchte. Ich sage ihm nicht, wer ihn gekauft hat. Ich lasse ihn dort hinaus, wo er mag. Und er wird danach dieselbe Chance haben, deine Mutter aufzusuchen und nach dir zu fragen, wie in all den Jahren davor. Die totale Freiheit. Du schenkst sie ihm.«
Sie schwiegen.
War es das, überlegte Caro, was er verdient hatte? Die totale Freiheit. War es nicht das, was er all die Jahre ohnehin hatte, nachdem er ihre Mutter sitzen gelassen hatte?
»Lässt du mich für einen Moment allein?«, bat Caro.
Als Lars gegangen war, suchte sie auf dem Prospekte-Wühltisch einen Flugzettel der Firma
Lebenskünstler
heraus und wählte die Nummer, die dort angegeben war.
Als sich eine Stimme am anderen Ende der Leitung meldete, fragte Caro nach dem Radio-DJ. War er noch zu haben?
Sie sehe gleich nach, sagte die Frau am Telefon.
Ja, er sei noch verfügbar.
»Großartig«, sagte Caro, »ich würde ihn gerne kaufen.«
»Sehr gerne«, sagte die Frau.
»Eines nur, ich möchte ihn bitte als Geschenk zustellen lassen.«
»Selbstverständlich. Sagen Sie mir doch Ihren Namen!«
»Carolin Novara.«
»Und an wen soll er geliefert werden?«
»Paulina Novara. Sie ist meine Mutter.«
vor einigen Jahren
D REI M ÄNNER, DIE EINANDER NOCH NIE gesehen hatten, standen an einem zwölften Jänner auf einem Bahnsteig der siebenbürgischen Stadt Sibiu. Es schneite stark und sie waren umzingelt von dick verpackten Kindern, die einander anrempelten und mit Schneebällen bewarfen. Jeder der Männer hatte das Flugzeug zurück nachhause nehmen wollen, aber alle Flüge waren aufgrund des Wetters gestrichen worden. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als mit der Bahn zu fahren, auch wenn das bedeutete, Zeit zu verlieren und sich mit der rumänischen Bahngesellschaft auf einen Partner einzulassen, den keiner von ihnen vertrauenswürdig fand.
Als der Zug in den Bahnhof eingefahren war, trennten sich die Wege der Kinder und der Erwachsenen. Die drei Männer bestiegen den Erste-Klasse-Waggon. Zu ihrem Ärger war der Wagen, wie natürlich auch jene der niederen Klassen, aufgrund
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