Kauft Leute
hatte?
Irgendwann schwiegen die Männer. Der Zug pflügte durch eine endlose Schneelandschaft, die langsam von Dunkelheit überzogen wurde. Der Kommodore öffnete einen
Tuica
, ein starker rumänischer Schnaps in einer Flasche ohne Etikett, und reichte ihn herum. Die Männer tranken und hingen ihren eigenen Gedanken nach.
Danesita überlegte, welche Möglichkeiten ihm dieses Treffen im Zug eröffnen könnte. Helby schien ein Mann zu sein, der Dinge in die Hand nahm. Vielleicht würde er Ernst machen mit dieser Firma … Danesita würde sich ansehen, wie die Öffentlichkeit darauf reagierte. Warum sich jetzt Gedanken darüber machen, ob so etwas funktionieren konnte? Wer war er, darüber richten zu wollen? Wenn eine Nachfrage für ihre Idee existierte, dann würden sie sich durchsetzen. So einfach war es. Die Marktwirtschaft regelte so etwas von selbst. Er wollte nur einmal Teil von etwas sein, das Aussicht auf Erfolg hatte. Hier in diesem Abteil zu sitzen und mit diesen drei Fremden aus einer Flasche Schnaps zu trinken, erschien ihm erfolgversprechender als alles, was er in den letzten Jahren unternommen hatte.
Der Kommodore dachte an die junge Frau, die ihn von sich gestoßen hatte, an die schlecht bezahlten Vorträge in Erwachsenenbildungsinstituten, an Reparaturzahlungen für seinen Wagen, an eine Zahnoperation, die ihn erwartete. Bald war er sechzig und er wusste, dass er keine der Hoffnungen mehr erfüllen würde, die andere einmal in ihn gesetzt hatten: Er würde kein bedeutendes Buch mehr schreiben oder auch nur einen einzigen Aufsatz publizieren, der für Aufsehen sorgte. Er würde nie wieder an einer Universität unterrichten. Er würde alleine sein, weil er dazu verdammt war, junge Frauen zu lieben, die ihn nicht wiederlieben konnten. Wenn dieser Helby vorhatte, die Sache durchzuziehen, wäre er dabei. Vielleicht war dies seine Chance auf ein letztes Lebensviertel in Wohlstand, Würde und Glück.
X war fasziniert von den Möglichkeiten, die diese Zugfahrt eröffnet hatte. Sollten seine geheimen Träume wahr werden? Er hatte viel über die Sklaverei gelesen und so vieles daran hatte ihn erregt. Vielleicht war ihr Zusammentreffen im Zug ähnlich schicksalhaft wie jene Treffen der Abolitionisten, die im London des späten 18. Jahrhunderts das Ende der Sklaverei ausgerufen hatten. Wenn ein Dutzend Männer den Anstoß für die Abschaffung des Menschenhandels geben konnte, gelang es vielleicht vieren, den Impuls für die Wiedererlangung der Unfreiheit zu geben. Ein Geschäftsmann, ein Historiker, ein Opportunist und ein Perverser – konnte es eine bessere Mischung geben?
Helby wusste bereits alles. In wenigen Minuten war in seinem Kopf der fertige Plan gewachsen. Im Kleinen beginnen, irgendwo im Osten, aber auf deutschem Boden. Die Presse ins Boot holen, jene Informationen einsetzen, die er sich seit Jahren zuliefern ließ. Ein netter Name, ein buntes Logo, strahlende Gesichter. Die Weltwirtschaft war in der Krise. Was man Menschen als Wert verkauft hatte, hatte sich allzu oft als Spekulation herausgestellt. In diesen Zeiten war die härteste Währung der Mensch selbst – und Helby wollte ihre Zentralbank sein.
Nur ein Jahr später war es schon soweit: Sie verkauften Leute.
Sehr bald nach der Flucht von Mona, dem Kommodore und Boris verließ Quintus Danesita Wien. Er trennte sich von seinen Frauen und übernahm den Aufbau des neuen Marktes in Berlin. Trompetra spielte auf dem Eröffnungsfest
.
Doktor Moffat wurde eines Morgens auf seiner Laufstrecke niedergestochen. Seine Bodyguards konnten sich nicht einigen, ob der Täter männlich oder weiblich war
.
Der Kommodore betreibt heute einen Versand für Vintage-Spielzeug. Sein Rubik-Rekord liegt bei 6 Minuten. Wenn er ein HÜMANIA-Flugblatt erhält, kann er nicht anders, als es durchzublättern
.
Boris und Mona führen ein veganes Café am Bodensee. Sie ist schwanger. Das Kind ist von einem Spender
.
Lars schloss sich Danesita an und ging nach Berlin zurück. Er überließ Caro seinen Bus, in dem sie heute manchmal ihre Mittagspause macht. Er ist in eine Band eingestiegen. Sie covern
Faith No More.
Christian wurde bald nach seiner Flucht gestellt und nach Wien zurückgebracht. Sein Kampagnon erschien nie, um ihn auszulösen. Heute arbeitet Christian am Fließband eines Autozulieferers und träumt immer noch von der Freiheit
.
Caro ließ sich überreden, HÜMANIA in schwierigen Zeiten die Treue zu halten. Sie übernahm einige der Aufgaben und die
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