Kauft Leute
ihr wirklich nahestand. Stattdessen meldete sie sich bei ihrem Reha-Genossen Max, der das halbe Vermögen seiner Eltern beim Online-Pokern durchgebracht und mit dem sie es hin und wieder auf der Rückbank eines Scheunen-Oldtimers getrieben hatte. Max freute sich von ihr zu hören, seine Stimmung änderte sich aber schlagartig, als sie erzählte,
wo
sie sich beworben hatte. Er führte die üblichen Argumente ins Treffen, die man hörte, wenn HÜMANIA-Gegner zu Wort kamen, und warf ihr vor, sich zu prostituieren. Caro erwiderte, dass Max sie eben nur in Regenstiefeln und abgeschnittenen Jeans kannte, sie davor aber ein seelenloses Werbeflittchen gewesen war und nun am besten Weg sei, wieder eines zu werden, kurz: alles nach Plan lief. Tatsächlich aber machte es sie ein klein wenig bestürzt, dass Max so heftig auf ihre Neuigkeit reagierte, sie war eigentlich der Meinung gewesen, dass HÜMANIA einen, nun ja, humanen Grundansatz vertrat. Der Text über die Unternehmensausrichtung auf der Homepage hatte sie jedenfalls überzeugt, auch wenn sie natürlich wusste, dass ein Texter wie sie hier einfach gute Arbeit geleistet hatte. Sie nahm sich vor, beim Bewerbungsgespräch selbst ein paar Fragen zu stellen, um mehr über das Unternehmen zu erfahren. Gleichzeitig wollte sie den Job aber unbedingt haben. Sie wusste, dass sie einen geregelten Arbeitsalltag brauchte, um wieder Halt zu finden, sonst war das nächste Abtauchen in virtuelle Sphären vorgezeichnet. Und vielleicht würde sie dann für immer in der Anziehungskraft eines von russischen Studenten programmierten Planeten gefangen bleiben … Wobei die Programmierer ja genauso wenig Schuld traf wie sie selbst. Der Grund dafür, dass sie vor einem Jahr ihren Job gekündigt und ihren Lebensmittelpunkt vorübergehend in eine andere Galaxie verlegt hatte, war natürlich Roman. Der Mann, von dem sie sich so oft getrennt hatte und den sie so oft wieder in ihr Leben gelassen hatte, dass sie irgendwann dachte, es wäre einfach unmöglich für sie, ihn endgültig zu verlassen, so wie man sich selbst ja auch nie wirklich loswird. Und an diesem Punkt machte er Schluss, einfach so. – Natürlich war da eine andere. Und natürlich war es irgendwie gut, dass es endlich vorbei war. Aber für Caro war es leider zu viel – sie funktionierte nicht mehr. Wer in der Kreation einer großen Werbeagentur sitzt, macht sich mit Heulkrämpfen und Schreibhemmung bei Kollegen und Vorgesetzten auf längere Sicht keine Freunde. Sie nahm sich Urlaub – aus dem sie nicht mehr zurückkehrte. Doch jetzt waren die Ferien zu Ende.
An einem schwülen Dienstagmorgen Mitte August stand Carolin Novara, Anwärterin für die Position der Texterin und Produktgestalterin bei HÜMANIA, vor einem Bürogebäude in der Wiener Innenstadt. Sie war mit dem Fahrrad gekommen, was sie jetzt bereute, denn sie schwitzte unter den Armen und am Rücken. Auch im Nacken spürte sie die Feuchtigkeit unter ihrer dunklen Naturwelle und sie wünschte sich sehnlich, sie könnte noch mal duschen. Trotz der harten körperlichen Arbeit am Hof hatte Caro in den letzten Monaten an Gewicht zugenommen: Während die fetten Computerfreaks auf einem anderen Hof strenge Diät halten mussten, bekam Caro Eier, Speck, Milchbrot und Kakao zum Frühstück, zu Mittag wurde ein monströser Auflauf serviert und abends gab es Variationen von Leberstreichwurst und Schweineschmalz auf dreifingerdickem Brot. Nach einer kurzen Umgewöhnungsphase von drei, vier Tagen, in denen sie sich unter röchelnden Todeslauten auf den Acker übergab, begann sie den neuen Speiseplan zu lieben! Als sie sich nach vier Wochen in dem fleckigen Spiegel im Badezimmer nackt betrachtete, im Licht einer Glühbirne, die von einer Schnake umkreist wurde, kam sie allerdings zu dem Schluss, dass ihr auch diese Liebe wieder mal nur Unglück brachte, und sie verbannte jede köstliche Variation von Schmalz, die sie in den letzten Wochen kennengelernt hatte, von ihrem Teller. Die Transformation ließ sich aber nicht mehr aufhalten: Als sie wieder nachhause kam, war aus dem schlanken, grünäugigen Mädchen in lässigen Londoner Gammel-Chic-Klamotten, mit dem jeder Artdirektor und Kontakter ins Bett wollte, eine dralle, gebräunte, sommersprossige Naturparkführerin geworden. Auf der Straße drehte sich nun ein ganz anderer Typ Mann nach ihr um, Studenten vom Land, Öko-Typen, und Caro fühlte sich, als müsste sie ein Faschingskostüm einen ganzen Sommer lang tragen. Sie hatte jetzt
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