Kay Susan
den er ihr zuliebe aß, aber er zögerte nicht. Er machte sich darüber her wie ein ausgehungerter Schuljunge, der nur seine Geburtstagsgeschenke im Kopf hat.
Ich goß mir eine Tasse Kaffee ein und beobachtete ihn mit stillem Respekt. Nicht zum ersten Mal ging mir durch den Kopf, daß Erik stolz auf ihn gewesen wäre. Charles war nicht zu Hause, sondern in der Schule, als Christine vier Jahre später starb.
Schon lange hatte sie an einer sie allmählich verzehrenden Krankheit gelitten, die schließlich als Krebs diagnostiziert wurde, aber das Ende kam mit einer unerwarteten Plötzlichkeit, die uns ganz unvorbereitet traf.
Benommen und von dem Schock betäubt, schloß ich die Schublade ihres Nachttischs auf und nahm den Inhalt heraus. Ich hatte ihr versprechen müssen, ihn mit ihr zusammen zu begraben.
Die Schublade war voll mit gepreßten Rosenblüten. Mir kam es so vor, als habe sie für jede rote Rose, die ich ihr je geschenkt hatte, selbst eine weiße hinzugefügt, und die getrockneten Blütenblätter waren untrennbar vermischt. Ein schwacher, anhaltender Duft ging von ihnen aus, als sie in meiner Hand zu Staub zerfielen.
Unter den Blütenblättern lag die Diamanthalskette, die einst das Halsband einer Katze gewesen war; ihr goldener Verschluß ruhte auf einem Ehering. Ich nahm den Ring heraus, um ihn zu untersuchen. Es war ein schlichter Goldreif, der noch genauso neu und ungetragen aussah wie an dem Tag, an dem er vor all den Jahren in Frankreich gekauft worden war. Er war sehr klein, die gleiche Größe wie der Ring, den ich ihr zuvor geschenkt hatte. Er hatte ihr von der Hand geschnitten werden müssen, als ihre Finger während der Schwangerschaft anschwollen.
Auf dem Boden der Schublade lag ein kleines Stück Papier, offenbar aus der Partitur einer Oper ausgeschnitten, die ich schließlich als Aida erkannte.
Ahnend im Herzen, daß man dich verdamme, Hab in die Gruft, die man für dich bereitet, Ich heimlich mich begeben,
Und hier, von jedem Menschenaug’ verborgen, In deinen Armen sehn ich mich zu sterben
Mit dem Papier in der Hand ging ich langsam hinunter in die Bibliothek und nahm Charles’ abgenutztes Exemplar der Faust-Oper heraus. Ich kannte das Zitat, das ich suchte, ziemlich genau, aber ich wollte ganz sicher sein, es wortgetreu wiederzugeben. Als ich es fand, schrieb ich es sauber auf ein Stück Papier und betrachtete es einen Augenblick.
»Engelschar, Licht bringt ihr der Welt, führt mich hinauf zum Sternenzelt.«
Ich kehrte in den Wohnraum zurück, wo im düsteren Licht einer einzigen Kerze der offene Sarg stand, steckte den Trauring an ihren kleinen Finger, legte das Halsband um ihren bleichen Hals und schob die beiden Zitate in die glänzenden Satinfalten der Sargauskleidung. Dann streute ich die Reste der Rosenblüten rings um sie.
Als ich fertig war, hatte ich ein merkwürdiges Gefühl von Frieden, als hätte ich den letzten Akt eines lebenslangen Strebens vollendet. Ich hatte sie siebzehn Jahre lang in meiner Obhut gehalten, bis der Tod sie wieder mit dem vereinte, dem sie wirklich angehörte. Ich empfand eine schmerzhafte Trauer, von der ich wußte, daß sie mich nie wieder verlassen würde – und doch auch ein Gefühl von Erleichterung, eine plötzliche Befreiung von Schuld.
Ich legte selbst den Deckel auf den Sarg, damit kein Arbeiter in Versuchung geführt wurde durch das Vermögen an Diamanten, das mit ihr zur Ruhe gebettet werden sollte.
Bei der Beerdigung regnete es heftig, wie es bei solchen Anlässen in England immer der Fall zu sein scheint. Die frischen weißen Rosen waren zerdrückt und schmutzbespritzt, als der Sarg in die gähnende Höhle im Boden gesenkt wurde.
Unter einem schwarzen Regenschirm hielt Charles meinen Arm mit festem, beschützendem Griff, als fürchte er, ich könnte in meiner Trauer etwas Dummes tun. Sein Gesicht war bleich, aber die Augen, die in meine blickten, waren voll von mitleidvollem Verständnis.
Ich erinnere mich, daß er mich nach der Beerdigung sehr vorsichtig zu unserer Kutsche zurückführte, als sei ich ein hinfälliger alter Mann.
Der letzte Vorhang ist gefallen, die Lichter im Zuschauerraum leuchten, und die Menschen stehen von ihren Sitzen auf und recken sich in ihren steifen Anzügen und Abendkleidern. Gleich wird die unziemliche Hast zu Mänteln und Kutschen einsetzen, aber ich, der ich nun an keinen Ort mehr eilen muß, sitze weiter unbeweglich, in dem Sessel, in dem einst Erik gesessen haben muß, um zu Christine
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