Kay Susan
Chagny, ich sage einem jungen Ehemann so etwas nicht gern, aber wenigstens haben Sie Ihren Sohn.«
Ich starrte aus dem Fenster, ohne zu antworten. Lister, der nach einer Weile zweifellos zu dem Schluß kam, mein heißes französisches Blut verwehre mir den üblichen Anstand und die Rücksichtnahme gegenüber meiner Frau, runzelte die Stirn und überließ mich meinen eigenen Gedanken.
Lange Zeit starrte ich aus dem Fenster.
Es gab natürlich Möglichkeiten, seit undenklichen Zeiten hatte es Möglichkeiten gegeben, Möglichkeiten, die gegen die Lehre unserer Kirche verstießen und keineswegs zuverlässig waren.
Es gab nur einen Weg, wirklich sicher zu sein.
Und ich brauchte nicht zu fragen, welche Entscheidung Erik unter diesen Umständen getroffen hätte.
4. Kapitel
Ich schloß einen langen Pachtvertrag für ein Haus in der Nähe der botanischen Gärten ab, engagierte eine der fabelhaften Frauen, die als englische Nannys bekannt sind, und beschloß, mein Los gelassen zu tragen.
Als Christine genesen war, war sie freundlich und liebevoll zu mir, immer bereit, alles beiseite zu legen, was sie gerade tat, und sich meinen Interessen zu widmen. Doch es gab eine Distanz in ihrem Verhalten, eine innere Heiterkeit, die mich immer von ihren eigentlichen Gedanken auszuschließen schien. Je mehr sie sich bemühte, mich glücklich zu machen, desto sicherer wurde ich insgeheim, daß sie Erik weit mehr geliebt hatte, als sie mich jemals lieben würde.
Wir waren nicht unglücklich miteinander, ganz und gar nicht, trotz der schwierigen Umstände, unter denen wir leben mußten. Tatsächlich galten wir bei den Freunden, die wir in England gewannen, mit unserer nach außen hin vollkommenen Ehe und unserem wohlgedeihenden Kind als musterhaftes Paar.
Von frühester Jugend an war es offenkundig, daß Charles außergewöhnlich musikalisch werden würde. Sobald er entschlossen auf einem Klavier herumzuklimpern begann, versuchte ich, mich aus seinem Leben fernzuhalten, indem ich mich in mein Studierzimmer oder hinter eine Zeitung zurückzog, wann immer die Nanny ihn zu Besichtigungsbesuchen nach unten brachte. Wahrscheinlich wäre mir das genauso gut wie anscheinend vielen englischen Vätern gelungen, wenn Charles nicht ebenso entschlossen gewesen wäre, sich nicht ausschließen zu lassen. Es war schwer, ein Kind zu ignorieren, das meine Heimkehr stets mit solchem Entzücken begrüßte, das sich jedesmal von der sechsten Treppenstufe stürzte in der fröhlichen Erwartung, von meinen Armen aufgefangen zu werden, das mir Papierdrachen und Spielzeugsoldaten zum Reparieren brachte und mich später bat, seine Konzerte zu besuchen, weil »wieder so viele Damen dasein werden«, Christines Hingabe nahm er eher zaghaft und vorsichtig hin, als sei ihre Liebe ein zartes Ornament, das er zu zerbrechen fürchtete. Er schien sich unausgesprochen mit mir verschworen zu haben, ihr alle Sorgen und Schmerzen zu ersparen.
»Sag Mama nichts, ja?« flüsterte er ängstlich, als ich ihn zehn Minuten vor dem ersten öffentlichen Konzert über ein Toilettenbecken hielt. Ich versprach, nichts zu sagen, rieb sein weißes Gesicht mit einem rauhen Handtuch ab, bis ein Hauch von Farbe in seine Wangen zurückkehrte, und erlitt dann Höllenqualen, als er durch den mit Menschen gefüllten Raum ging, um sich an das schrecklich einsame Klavier zu setzen. Er sah so jung und verletzlich aus. Als er meine Blicke traf, nickte ich ihm ermunternd zu, und er lächelte.
Während des ganzen ersten Konzerts hielt Christine meine Hand, und am Ende, als alle Zuhörer aufstanden, um zu applaudieren, drückte ich sehr fest ihre Finger, während unsere Augen ein Wissen teilten, das niemals ausgesprochen werden konnte.
Ironischerweise wurde gerade das, was uns hätte trennen sollen, das Band, das uns zusammenschmiedete. Wieder und wieder dankte ich Gott für Charles, und das nicht immer aus besonders edlen Gründen.
Die Katze – die verdammte Katze – gab Christine schließlich auf und schloß sich endgültig Charles an. Sie schlief auf seinem Bett, seit er etwa zwei Jahre alt war, und ich unternahm nicht das Geringste dagegen, trotz der empörten Proteste der Nanny über Ungeziefer.
»Es tut einem Kind gut, ein Haustier zu haben«, sagte ich kühl, als ich die Angelegenheit regeln sollte. Die Nanny unterwarf sich in wütendem Schweigen und sagte später im Dienstbotenzimmer zweifellos eine Menge böser Dinge über exzentrische Franzosen, aber das machte mir nichts aus.
Solange
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