Kehraus fuer eine Leiche
es passiert ist. Er war glücklicherweise zu Hause.«
»Dann können wir ja den Verband schon abholen«, sagt Marcel und knipst die Sicherheitsnadel an der Mullbinde auf.
»Spinnt ihr jetzt alle?«, will ich wissen, entreiße zwar meinen Arm seinem Griff, nicht aber den Zipfel des Verbandes, den er rasch abwickelt. Mir fällt plötzlich auf, dass ich nicht mehr weiß, wann ich den Schmerz zuletzt verspürt habe. Den Eisverband habe ich vor Stunden gewechselt. Die Hand fühlt sich nur eingebunden, aber nicht mehr brennend an. Das hat bestimmt mit der Konzentration auf meine Arbeit, besser gesagt aufs Herumscheuchen der anderen zu tun. Ich hatte überhaupt keine Zeit, mich um meine Verletzung zu kümmern. Ablenkung ist bekanntlich der größte Schmerzvertreiber.
Jetzt ist die Hand ausgewickelt. Der Druck des Verbandes hat sie schneeweiß gemacht. Ich starre auf Hand- und Fingerrücken, mache eine Faust und löse sie wieder. Die normale Hautfarbe kehrt allmählich zurück. Nicht einmal der Hauch einer Rötung ist noch zu erkennen. Fassungslos schaue ich auf die Fläche, die unzweifelhaft verbrüht war. Nichts davon zu sehen. Von einem alten Altersfleck abgesehen geradezu jungfräulich. Ich komme mir wie eine Betrügerin vor.
Gehörte meine Verbrennung etwa zu dem Traum, in dem Marcel das Fleischermesser in den Bauarbeiter stößt? Aber die Szene der Nacht hatte eine comicgleiche Optik; da stimmten weder Perspektiven noch Farben, die schwarzbraune Filtermasse auf meiner Hand am Morgen hingegen war schmerzlich real.
»Sie war wirklich richtig verbrannt«, stottere ich. »Gudrun ist meine Zeugin!«
Gudrun nickt.
»Richtig böse verbrannt«, bestätigt sie.
»Herr Schmitz ist ein Segenskundiger«, informiert mich Marcel. »Er hat dir den Brand geholt.«
»Genommen«, wende ich ein, das Eifeler Idiom momentan nicht ertragend. »Der kann mich doch nicht so mir nichts, dir nichts übers Telefon heilen!«
»Das macht ja auch nicht er, sondern der Herrgott«, sagt Gudrun ungeduldig.
»Übers Telefon?«, wiederhole ich. Mit diesem Mummenschanz möchte ich nichts zu tun haben. »Es war das kalte Wasser und das Eis«, erkläre ich. »Weil ich das eben so schnell draufgetan habe. Sag doch auch was, Hein!« Der ist weltgewandter als die anderen und, wie ich bisher geglaubt habe, jeglichem Aberglauben abgeneigt.
Hein lacht.
»Wir Eifeler lassen jedem seinen Glauben«, sagt er salomonisch. »Glaube du also ruhig dran, Katja, dass dir Wasser und Eis den Brand geholt haben. Hauptsache, er ist weg. Wer heilt, hat recht. Was gibt es Neues über unseren armen toten Bauarbeiter, Marcel?«
»Er war kein Bauarbeiter«, antwortet der belgische Polizeiinspektor und verstummt.
»Nein?«, fragt Jupp. Er klingt enttäuscht. Jetzt ahne ich auch, weshalb der Mai auf dem Kalender in seinem Losheimer Haus vorzeitig aufgeblättert wurde. Der Anblick eines Schwulen in einem der letzten originären Männerberufe hat Jupp erfreut. Schließlich verdient er sich neben Renovierungsaufgaben bei mir und anderen sein Geld als Waldarbeiter.
»Was war er dann? Nur Model?«
Marcel seufzt. »Ihr wisst doch, dass ich euch über laufende Ermittlungen nichts sagen darf.«
»Das ist unfair«, erwidert Jupp vorwurfsvoll. »Es war unser Kalender!«
»Wir haben dir einmal geholfen«, setzt Hein noch einen drauf, »woher willst du wissen, dass wir dir nicht auch sonst weiterhelfen können? Du wirst nicht bestreiten können, dass ich mich in der Schwulenszene gut auskenne.«
In einem früheren Leben hat Hein als Eventmanager in Köln schwule Veranstaltungen organisiert.
»Vielleicht war er ja gar nicht schwul«, lässt Marcel noch einen Informationshappen los. »Die Kalenderleute haben ihn über eine Kölner Agentur für Künstlervermittlung engagiert. Auf die zuständige Dame hat er einen ganz normalen Eindruck gemacht.«
»Normal«, seufzt Hein, verdreht die Augen und fährt sich durch sein lila-grünes Haar. »Die Heten und ihre Vorurteile. Mein Jupp würde auf die auch einen ganz normalen Eindruck machen oder etwa nicht? Also, wie heißt der Mann?«
»Ich bin hergekommen, für Katja beim Kochen zu helfen, nicht für ausgefragt zu werden«, sagt Marcel leise. »Oder hast du den Teig für die Frischkäse-Orangensenf-Kumquat-Taschen etwa schon ausgerollt? Mit dem Fleisch soll sich David abgeben; der kann das besser.«
Während er den Teig aus dem Kühlschrank holt, drehe und wende ich meine rechte Hand. Als sei sie mir gerade erst angepasst worden
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