Kehraus fuer eine Leiche
Künstler Radieschen modelliert und die phänomenale Ortskenntnis, die er sich binnen kürzester Zeit angeeignet hat. Als wir neulich zu dritt auf dem Markt in Blankenheim waren, suchte ich aufs Geratewohl einen kürzeren Weg – eben nicht über die B 51 – zurück zur Kehr und verfuhr mich hoffnungslos. Irgendwo, mitten in einer mir gänzlich unbekannten Pampa, begann mich David auf einmal zu dirigieren. Ich folgte amüsiert seinen Anweisungen, bog in schmale Feldwege ein, die in fichtengesäumte Waldpfade mündeten, und gondelte vorsichtig unbefestigte Hangtrassen aufwärts – bis wir uns plötzlich auf vertrautem Terrain befanden. Jeder andere hätte triumphiert. Zumal ein völlig ortsunkundiger Ausländer. David schien eher beschämt.
»Ich habe halt ein eingebautes Radar«, sagte er entschuldigend, als ich verblüfft auf das Jünkerather Einkaufsgebiet hinabblickte.
»Du bist so was von klug«, lobte ihn Gudrun begeistert, »mit dir kann man sich gar nicht verfahren.«
Warum nicht?, fragte ich mich. Weil er irgendwie eingefahren ist? Ein Texaner auf der Kehr? Wer zum Teufel ist Mr. Quirk wirklich?
Nun, heute Abend werde und möchte ich das nicht herausfinden. Jetzt zählt nur die Zukunft, auf die Gudrun, Hein, Jupp und ich hingearbeitet haben. Mit freundlicher Unterstützung unseres Freundes Marcel aus Belgien.
»Da kommt ja jemand!«, ruft der Polizeiinspektor.
Wir starren aus dem Fenster. Eine kleine Prozession nähert sich. Vorneweg Pia – wieder mit einem Eiertablett.
»Oh Gott, ich habe meine Adoptivhühner vergessen!«, rufe ich und eile zur Tür.
»Greta, Miranda, Johanna, Beatrice«, flötet Hein.
»Und Fred!« Das war David.
»Entschuldigung!«, begrüße ich die ersten Gäste der Einkehr .
»Ich hatte heute überhaupt keine Zeit, rüberzukommen und den Hühnerunterhalt zu bezahlen.«
»Macht überhaupt nichts«, ertönt die sonore Stimme des einzigen Mannes der Vierergruppe. »Sie sind bestimmt die Frau Klein.«
Ich nicke.
»Ich bin der Paul Prönsfeldt. Und das ist meine Familie. Die Pia kennen Sie ja schon. Das ist meine Frau Petra«, stellt er mir eine derbe Blondine mit aufgedunsenem bleichen Gesicht, hochtoupierten Strohhaaren und mürrischer Miene vor. So könnte Pia nach Jahrzehnten freudlosen Lebens auch einmal aussehen. Ich erschauere. »Und meine älteste Tochter Patrizia.«
»Patti«, sagt das Mädchen mit den viel zu hoch angesetzten braunen Zöpfen und reicht mir die Hand.
Den vorwurfsvollen Blick ihres Vaters bilde ich mir wohl nur ein. Den Bruchteil einer Sekunde herrscht Unbehagen. Vermutlich verabscheut Herr Prönsfeldt die Abkürzung des edlen Vornamens seiner ältesten Tochter.
Patti ähnelt ihrer Schwester überhaupt nicht. Sie ist nicht atemberaubend schön, sondern hinreißend apart. Kein Gleichmaß wie bei Pia, sondern ein Konglomerat von Gesichtszügen, die beim ersten Anblick nicht zusammenzupassen scheinen, aber gerade dadurch noch eindrucksvoller wirken. Hohe Wangenknochen, aber runde weit auseinanderstehende graue Augen, griechische Nase, aber zartes Kinn, volle Lippen und winzige Zähne. Ein Schwanenhals über einem viel zu großen Discounterkleid aus lupenreinem Polyester, unter dem nur ein Modefachmensch wie ich den perfekten Busen wogen sehen kann. Donnerwetter! Herr Pee sieht aus wie ein verhungernder Habicht, seine Frau wie eine übersättigte Riesenmade, aber gemeinsam haben sie zwei ungewöhnlich attraktive Geschöpfe geschaffen.
»Ich werde Ihren Gnadenhof morgen besuchen«, verspreche ich dem Hausherrn desselben. »Und meine Schulden bezahlen.«
»Eilt überhaupt nicht, Frau Klein«, versichert Paul Prönsfeldt. »Ich sehe ja, was Ihr hier zu tun habt. Was für ein wunderschönes Buffet!«
Unter der Habichtsnase verzieht sich sein Gesicht zu einem gewinnenden Lächeln. Ich lächele zurück.
»Bedienen Sie sich nur«, fordere ich ihn und seine Familie auf.
»Darf ich mich ein bisschen umsehen?«, fragt Herr Pee. »Wie ich höre, habt Ihr auch ein Hinterzimmer?«
»Ein Raucherzimmer«, verbessere ich. »Noch. Wenigstens so lange, wie in NRW keine bayerischen Verhältnisse herrschen.«
Aus den Augenwinkeln beobachte ich, wie sich die Damen der Familie Pee auf Kommando des Haushaltsvorstandes an den hintersten Tisch zurückziehen; allesamt mit hängenden Schultern und gesenkten Köpfen, so, als wollten sie sich unsichtbar machen. Patti scheint unter dem gleichen mangelnden Selbstwertgefühl zu leiden, das mir schon bei Pia aufgefallen ist,
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