Kein Augenblick zu früh (German Edition)
Innern war mir klar, dass das stimmte, aber es reichte nicht, um den Knoten aus Sorgen und Selbstvorwürfen zu lösen, der sich in mir gebildet hatte.
»Aber Alex, vielleicht ist er schon …«
Ein Bild schoss mir durch den Kopf: Ryder, der tot auf dem staubigen Wüstenboden lag, daneben Jack, mit einer Schusswunde in der Brust. Ich presste die Augen zu. Es ging Jack nicht gut – das hatte ich von Key erfahren. Mein Bruder lag im Koma. Vielleicht war er gelähmt. Vielleicht war er tot. Und ich wusste es nicht, weil ich nicht bei ihm sein durfte. Wo Jack jetzt war, war auch meine Mutter. Und ich konnte nicht zu ihnen, weil die Einheit zwischen uns stand.
Alex legte beide Hände um mein Gesicht und sprach ernst auf mich ein. »Jack wird es schaffen, das weiß ich. Er ist ungeheuer zäh. Außerdem hat er einen sehr guten Grund, am Leben zu bleiben.«
»Meine Mutter?« Das war wirklich ein guter Grund. Jahrelang hatten wir geglaubt, dass sie tot sei – aber seit Kurzem wussten wir, dass sie lebte.
»Das natürlich auch.« Ein Lächeln zuckte um seine Mundwinkel. »Ich dachte aber eher daran, dass er sich mich vorknöpfen will.«
Trotz der Tränen musste ich lachen. »Stimmt – er war nicht sehr zufrieden mit dir.«
»Ich hab nichts anderes verdient.«
»Sag das nicht.« Ich setzte mich auf. »Und tu das nie wieder! Du darfst mich nie mehr verlassen, nur weil du Rücksicht auf Jack nehmen willst! Nur weil du glaubst, er hätte etwas dagegen, dass wir zusammen sind. Ich könnte das nicht … will das nie mehr durchmachen müssen.«
Ich dachte kurz an die Zeit zurück, bevor das ganze Schlamassel losgegangen war. Wie Alex versuchte hatte, sich immer korrekt zu verhalten und auch meine Gefühle nicht zu verletzen. Womit er genau das Gegenteil erreicht hatte.
Er setzte sich ebenfalls auf und nahm meine Hand. »Lila, ich verspreche dir, dich nie mehr zu verlassen. Nie mehr. Ich werde dafür sorgen, dass du in Sicherheit bist. Wir werden Jack und deine Mutter herausholen. Und selbst wenn sich Jack eines Tages tatsächlich meine Wenigkeit vorknöpft, werde ich dich nicht verlassen.«
Ich wog seine Worte sorgfältig ab. Es wäre nicht das erste Mal, dass er etwas sagte und etwas anderes meinte. Aber sein Blick war klar und zwischen den Augenbrauen stand die so vertraute steile Falte, die ich immer am liebsten wegwischen wollte.
»Versprochen, Lila. Keine Zweideutigkeiten mehr. Ich verlasse dich nie mehr.«
Er beugte sich vor und küsste mich. Und ich schmolz dahin, ließ mich von ihm umfangen und wurde weich wie ein Schwamm, der in warmes, duftendes Badewasser getaucht wird. Schuldgefühle, Selbstvorwürfe, Sorgen zogen sich in den hintersten Winkel meines Bewusstseins zurück und meinetwegen konnten sie für immer dort bleiben.
Nach einer Weile schob er mich sanft von sich, stand auf und schraubte die Birne in der Lampe neben dem Bett wieder in die Fassung. Wir hatten uns angewöhnt, elektrische Geräte auszustecken, sobald wir in ein Hotelzimmer kamen. Das war eine Vorsichtsmaßnahme, denn in Alex’ Nähe geriet meine mentale Kraft leicht außer Kontrolle. Das Letzte, was wir brauchten, waren Lampen, die wilder als die Light Shows von Las Vegas flackerten und blitzten – sie hätten die Einheit sofort zu uns gelockt.
»Im Ernst, wir müssen uns konzentrieren.« Er zog sein T-Shirt straff und fuhr sich durch das Haar.
»Auf was denn?«, fragte ich schmollend. Ein Bett schien mir für Konzentrationsübungen echt gut geeignet.
»Steh auf!«, befahl er.
Misstrauisch und leicht widerwillig schob ich die Beine über die Bettkante, blieb aber sitzen.
»Okay. Wir müssen trainieren.«
Ich stöhnte. »Ich bin total geschafft!«
»Ich weiß. Aber im Notfall solltest du dich selbst verteidigen können. Keine Widerrede. Wir müssen nur noch eine Sache erledigen, dann verlassen wir diese Stadt und suchen uns einen sicheren Platz, wo wir auf Demos und die anderen warten können.«
Ich erschrak. »Wir müssen hier auf sie warten, Alex. Sie kommen hierher .« Meine Stimme klang schrill.
Alex schüttelte den Kopf. »Wir können nicht länger in Mexico City bleiben. Hier wird uns die Einheit gnadenlos jagen. Mach dir keine Sorgen – Nate und Key werden uns überall aufspüren.«
Ich konnte nur hoffen, dass er damit Recht behielt. Und beten, dass Nate und Key nicht schon gefangen genommen worden waren. Als wir uns in Kalifornien von ihnen getrennt hatten, hatten sie vorgehabt, die Einheit von uns weg in den
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