Kein Augenblick zu früh (German Edition)
winzigen Buckel, fast unmerklich klein, wie eine längst und gut verheilte Narbe. Ich riss die Augen auf.
»Ich habe schon mal gesehen, wie sie es machen«, flüsterte er und fuhr mit dem Finger immer wieder über die Stelle. »Nicht bei uns, aber bei Leuten, die verdeckt arbeiten. Sie setzen ihnen den Sender direkt unter die Haut, sodass sie sie jederzeit verfolgen können. Der Sender ist kaum zu entdecken. Nur habe ich keine Sekunde lang gedacht, dass sie …« Er schüttelte den Kopf und zog das T-Shirt wieder an.
»Aber wenn sie dich die ganze Zeit verfolgen konnten, warum haben sie uns dann nicht gleich auffliegen lassen?«, fragte ich. »Als sie glaubten, dass Demos uns gefangen hatte, als wir beide verschwanden, warum sind sie dann nicht einfach ihrem Sender gefolgt? Warum haben sie gewartet, bis wir in einem anderen Land sind?«
Das alles ergab keinen Sinn.
»Ich weiß es nicht.« Alex betrachtete stirnrunzelnd seinen Oberarm.
»Was hast du jetzt vor?«, fragte ich und fuhr mit der Hand behutsam unter seinen Ärmel, um den winzigen Buckel noch einmal abzutasten.
Statt einer Antwort zog er ein Taschenmesser aus der Gesäßtasche. Ich wich zurück. Alex schob den Ärmel hoch und setzte die Messerspitze an. Im selben Augenblick wurde die Tür aufgerissen.
Vor uns stand ein Priester in schwarzem Talar. Sein Mund blieb offen stehen, während sich sein Hirn abmühte zu begreifen, was er da sah – Alex mit dem erhobenen Messer und mich mit einer Pistole in der Hand. Stöhnend tastete er nach dem Rosenkranz, der um seinen Hals hing, wandte den Blick zum Himmel und begann laut auf Spanisch zu jammern. Ich warf einen Blick über seine Schulter in die Kapelle. Einige Leute hatten sich umgedreht und starrten uns entgeistert an.
»Sorry«, murmelte ich, als wir uns an dem Priester vorbei aus dem Beichtstuhl drängten. Er schrie uns etwas nach, aber wir rannten bereits auf das Portal der Kathedrale zu, durch den Mittelgang, in dem sich die Menschen drängten. Ich presste die Pistole an den Schenkel und versuchte, so harmlos wie möglich auszusehen.
Auf halbem Weg bremste Alex abrupt ab und renkte mir dabei fast den Arm aus. Nicht weit entfernt boxten sich sechs Männer in schwarzen Kampfuniformen vom Hauptportal her brutal durch die dichte Menschenmenge. Während sie stehen blieben, um ihre Augen an das düstere Licht zu gewöhnen, machten wir kehrt und liefen wieder durch den Mittelgang zurück. Aber nicht bis zum wütenden Beichtvater, stattdessen schoben wir uns durch eine lange Kirchenbank und mischten uns unter die zahlreichen Touristen, die den Altar bewunderten. Ich riskierte einen schnellen Blick zurück: Die Uniformierten schwärmten aus. Zwei liefen zu den beiden Kapellen neben dem Portal, zwei weitere entfernten sich von uns und gingen zur anderen Seite der Kathedrale, während die übrigen zwei durch den Mittelgang direkt auf uns zukamen. Einer hielt ein kleines, handyähnliches Gerät in der Hand, auf das er immer wieder blickte.
Wir drängten uns weiter durch die Menge, um zu einer kleinen Seitentür hinter dem Altar zu gelangen. Als Alex die Tür aufstieß, schaute ich mich suchend um: Wir brauchten ein Ablenkungsmanöver. In einer Nische am anderen Ende der Kirche entdeckte ich einen geeigneten Gegenstand: eine Heiligenstatue in einem kleinen Alkoven hoch über dem Eingang. Niemand stand in der Nähe. Ich schickte eine kurze Entschuldigung an den betreffenden Heiligen im Himmel, konzentrierte mich darauf und kippte die Statue vom Sockel. Krachend fiel sie zu Boden und zersplitterte in mehrere Teile. Im gedämpften Murmeln, das in der Kathedrale herrschte, wirkte das plötzliche Geräusch wie eine Explosion. Die Leute schrien auf und rannten zu den Ausgängen. Im allgemeinen Lärm und Chaos schlüpften Alex und ich durch die kleine Seitentür.
Wir betraten eine Sakristei. Eine Wand wurde von einem riesigen Kruzifix beherrscht; an zwei weiteren Wänden hingen Messegewänder, Chorhemden und Talare. Unter dem Kreuz brannten ein paar Kerzen.
»Wegen der Statue komme ich bestimmt in die Hölle«, murmelte ich.
»Ich geh mit dir«, sagte Alex.
Er schob den Ärmel des T-Shirts hoch, hielt die Messerspitze kurz in eine Kerzenflamme und ritzte dann die Haut um das Logo auf.
»Mein Gott.« Mir wurde plötzlich schwindlig. Ich lehnte mich gegen die Tür, konnte aber den Blick nicht von dem Messer lösen.
Blut rann über Alex’ Arm. Er verzog das Gesicht. Schnell warf ich ihm einen langen,
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