Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein bisschen Liebe

Kein bisschen Liebe

Titel: Kein bisschen Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
Vom Netzwerk:
Außer, er ist lebensmüde. Ich versuchte, das Gespräch in Gang zu halten, damit sie ihre Hitzewallungen vergaß:
    »Und die Chefin ging nach Miami?«
    »Ja, als sie ihr die Bar dichtgemacht haben und sie alleine dastand. In den sechziger Jahren haben sie hier alles dichtgemacht: Billardsalons, Bars, Stundenhotels. Alle ab zur Zuckerrohrernte. Es gab nicht mal Rum. Als wären wir Pfaffen.«
    »Ich erinnere mich genau.«
    »Sie hat mich hier gelassen, damit ich aufs Haus aufpasse. Ich kann sie noch hören: ›Puppe, pass mir auf das Haus auf, dieser lächerliche kleine Aufstand wird nicht lange anhalten. Und dann komme ich wieder und baue mein Geschäft neu auf. Und zwar noch größer und schöner.‹«
    »Aber jetzt sind vierzig Jahre vergangen.«
    »Und sie ist in Miami gestorben, und das Haus fällt in sich zusammen, und die Puppe ist eine hässliche Alte, die nicht mal mehr die Hunde mögen.«
    »Sag so was nicht.«
    »Ahhh, ich mach mir nichts vor.«
    »Und dein Sohn?«
    »Der ist ein Einfaltspinsel und ein Faulpelz. Genau wie sein Vater, der nur als Zuhälter taugte.«
    »Aber dein Sohn ist kein Zuhälter.«
    »Nein, dazu fehlt ihm das gewisse Etwas. Er ist Busfahrer, heute Abend hat er bis Mitternacht Schicht. Und selbst wenn die Welt zusammenbricht, der erscheint nicht vor halb eins.«
    »Das hier ist ein Hurrikan. Bestimmt kommt er gleich.«
    »Ach was! Du kennst ihn nicht. Er lebt in den Wolken. Er weiß genau, dass das Haus überschwemmt wird und dass ich die Sachen allein nicht hochstellen kann … Ach, Scheiße, ich hab dieses Leben so was von satt.«
    »Gib nicht auf, Püppchen, eh’ du dich’s versiehst, holen sie dich hier raus, um ein tolles neues Haus zu bauen. Das ist doch eine Touristengegend.«
    »Damit machen sie schon seit drei, vier Jahren rum. Angeblich wollen sie einen Hotelkomplex hochziehen und dafür rundherum alle rauswerfen, insgesamt zehn oder zwölf Häuser.«
    »Haben sie dir schon was Besseres angeboten?«
    »Ja, aber ich will rauf auf den Hügel.«
    »Da wohne ich, in den Hügeln.«
    »Die paar Jährchen, die mir bleiben, möchte ich im Grünen verbringen. Auf dem Hügel, mit den Vögelchen, die in den Bäumen singen. Ich hab genug vom Meer und dem Salzwasser und den Wirbelstürmen und dem ständigen Ärger.«
    »Auf den Hügel, Puppe, pa’ la loma, pa’ la loma«, sang ich.
    »Hahaha.«
    Endlich hatte ich sie ein wenig zum Lachen gebracht.
    »Ich hab mein ganzes Leben auf dem Land verbracht oder hier. Was anderes kenne ich nicht.«
    »Du machst Witze, Puppe.«
    »Ob du’s glaubst oder nicht. Ich war noch nicht mal in Havanna.«
    »Das glaube ich dir wirklich nicht. Nach Havanna sind es siebenundzwanzig Kilometer.«
    »Und was will ich dort? Es heißt, da gibt’s ‘nen Haufen Leute und viel Verkehr, und alles ist so groß und man verläuft sich. Nein, nein. Das macht mich alles nur nervös. Und Gott sei Dank bin ich nie krank gewesen und hab nie ins Krankenhaus gemusst.«
    »Da sieht man, dass du vom Land kommst.«
    »Und dazu steh ich auch. Dort gefällt’s mir am besten. Ich bin nur hierher zur Chefin gekommen, um leben und meinen Eltern und Geschwistern helfen zu können. Wir konnten doch nicht immer nur Mehl und Süßkartoffeln essen.«
    Ich wollte gehen, aber ich traute mich nicht, sie allein zu lassen. Ich sagte:
    »Gehen wir raus auf die Hauptstraße. Das Wasser wird noch weiter steigen.«
    »Nein, nein. Ich bleib hier, bis mein Sohn kommt. So hoch steigt das Wasser nie.«
    »Bist du sicher?«
    »Und wie.«
    »Also gut, ich muss dann mal weiter.«
    »Geh nur. Mach dir keine Sorgen. Mir passiert nichts.«
    Sie nahm die Kerze. Mit der Hand schirmte sie die Flamme ab und begleitete mich zur Tür. Sie öffnete nur einen Spalt, damit ihr der Wind nicht die Kerze ausblies. Das Wasser reichte uns bis an die Oberschenkel. Ich ging durchs Tor und rief zum Abschied:
    »Wir sehen uns morgen, Puppe.«
    »Hör mal, nein. Vergiss diesen Spitznamen. Ich heiße Antonia.«
    »Wir sehen uns morgen, Antonia.«
    »Bis morgen.«

Aus der Welt verschwinden
    Drei Wirbelstürme fegten über die Karibik. Das Wetter war ekelhaft feucht und heiß, bewölkt und mit Windböen. Es war ein später Oktobernachmittag, und ich fand nichts zu tun. Ich fühlte mich unruhig, angespannt und nervös. Seit zwei Tagen regnete es pausenlos. Am Vorabend hatte ein Typ, der sich als Schriftsteller, Theoretiker und guter Bekannter ausgibt, bei mir vorbeigeschaut und mich um fünfzig Dollar gebeten, für ein

Weitere Kostenlose Bücher