Kein bisschen Liebe
Bombengeschäft. Er erzählte in allen Details davon ganz überzeugend und versprach, mir das Geld binnen zwei Monaten zurückzugeben. Ich lieh ihm dreißig, aber es blieb ein schlechter Beigeschmack. Die Sache roch nach Betrug. Am nächsten Morgen rief er mich an und sagte, die Polizei habe seine Ware beschlagnahmt. Er war auf offener Straße angehalten worden, mit all dem Zeug ohne Beleg. »Aber mach dir keine Sorgen. Ich geb dir das Geld zurück. Ich stehe zu meinem Wort«, sagte er im Brustton der Überzeugung, aber ich wusste, dass das nur Gerede war. Ich glaube, ich habe verloren. Später, am Nachmittag, kam eine wohlerzogene junge Dame, die sich als Anwältin ausgibt, und wollte mir zweihundertfünfzig Dollar aus dem Kreuz leiern. Ich wurde ein wenig aggressiv. Fast hätte ich sie hochkant hinausgeworfen. Sehe ich etwa aus wie ein vertrottelter Alter? Als Nächstes kam ein Anruf: Julia trinke mehr denn je und müsse möglicherweise zur Behandlung in eine Klinik eingewiesen werden. Das tat mir sehr weh. Sie hat die Kontrolle verloren. Es hieß, sie bekomme Wutanfälle und werde ganz aggressiv. Seit zwei Monaten sind wir getrennt, und ich habe das Gefühl, dass wir uns nie wiedersehen werden. Jedenfalls ist es schrecklich. Sie bringt sich nach und nach um.
Da war ich. Wütend auf mich selbst, den Blick hinaus auf den Regen gerichtet, der durch die Fensterritzen drang und in der ganzen Wohnung Pfützen hinterließ. Bekümmert wegen Julia. Vielleicht auch wegen mir. Anscheinend durchlebte ich eine durch Schuldgefühle ausgelöste Krise. Julia hatte hinter meinem Rücken sämtliche Geschichten gelesen, in denen ich sie vorkommen lasse. Außer sich vor Wut hatte sie mich verflucht und mir vorgeworfen, ich würde gegen sie schreiben. Ich schreibe niemals für oder gegen jemanden. Ich schreibe einfach und verwende das verfügbare Material. Was ich in dem Moment zur Hand habe. Jedenfalls glaube ich, dass ich mich schuldig fühlte und nicht schlau daraus wurde, was zwischen Julia und mir tatsächlich geschehen war. Das brachte mich emotional aus dem Gleichgewicht. Das Schlimmste ist, dass all diese negativen, stumpfsinnigen metaphysischen Gedanken mir jegliche Energie rauben. Ich bin dann kraftlos und niedergedrückt. Und es kostet mich viel Mühe, wieder auf die Beine zu kommen. Darum ist Zynismus so wichtig. Der wahre Zyniker, der geborene Zyniker kennt nur die Treue zu sich selbst. Und damit erspart er sich so manche Verwirrung.
Um aus dem Tief herauszufinden, versuchte ich es mit selbsttherapeutischen Sprüchen: Immerhin hat niemand Krebs, Ärger mit der Justiz gibt es auch keinen, niemand muss in den Knast, die Probleme machen mich stärker, es könnte schlimmer sein und so weiter. Ich ging in die Küche und schenkte mir ein halbes Glas Rum ein. Es war die passende Zeit, um sich einen zu genehmigen.
Es klingelte. Elizabeth. Sie ist Tänzerin. In den letzten Monaten hat sie drei Nächte pro Woche im Club Normandia getanzt, einer Kaschemme am Meer außerhalb von Havanna. Zusätzlich trat sie als Transvestit auf und tanzte mehrere Nächte im Chez Alberto, einem illegalen Gayclub in Mantilla, ein paar Schritte vom Haus eines berühmten Krimiautors entfernt. Das Normandia wurde von der Gesundheitsbehörde zugemacht, weil die Toiletten verstopft waren und Scheiße auswarfen, anstatt sie zu schlucken. Im Chez Alberto sind ihr die Schwulen eines Nachts draufgekommen und haben sie öffentlich ausgezogen. Der Krimiautor hat mir das alles genau erzählt. Elizabeth ahnte nicht, dass ich Bescheid wusste. Sie hatte dem ehrenwerten Publikum ein nervöses Lächeln geschenkt und gesagt, ihre ach so weiblichen Formen verdanke sie perfekt gelungenen chirurgischen Eingriffen. Sie versuchte, alles wie eine ausgefallene Striptease-Nummer aussehen zu lassen. Die Transvestiten wurden fuchsteufelswild und drohten, sie mit einem Messer aufzuschlitzen, wenn sie sich noch einmal dort blicken lasse.
»Du hast keinen Anstand, Scheißnutte, du hast keinen Anstand!«, schrien sie Elizabeth hinterher, als sie per Arschtritt hinausbefördert wurde.
Elizabeth ist schon über fünfzig, aber das will sie nicht wahrhaben. Nun verkauft sie frische Kuhmilch. Sie fährt zweimal die Woche aufs Land und bringt ihre Ware nach Zentral-Havanna. Ich muss mir immer ihre Geschichten anhören:
»Dieses Geschäft macht mich irre. Ich als Milchmädchen! Elizabeta de Cuba! So haben sie mich immer präsentiert. Auf den besten Bühnen von Havanna. Elizabeta de
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